In einer kritischen öffentlichen Diskussion um die Weiterentwicklung der Landwirtschaft wird die Unterstützung mit EU-Mitteln der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) hinterfragt. Das Prinzip „öffentliches Geld nur für öffentliche Leistungen“ bestimmt die Diskussion. Andererseits unterliegt die Landwirtschaft in der EU vergleichsweise hohen Umwelt- und Erzeugungsstandards. Diese machen die inländische Erzeugung gegenüber der Produktion aus Mitwettbewerbsländern außerhalb der EU teurer. Das HFFA Research Institut in Berlin und die Ruhr-Universität Bochum haben am Beispiel Deutschlands berechnet, welche Kosten die relativ hohen EU-Anforderungen verursachen.
In der von Prof. Dr. Helmut Karl und Dr. Steffen Noleppa durchgeführten Studie werden unter „Mehrkosten“ sowohl Steigerungen von Produktionskosten als auch Minderungen von Erlösen erfasst, und zwar vor allem bei Produktionsstandards mit Umweltbezug. Berechnet werden konnten die folgenden EU-Standards und Auflagen: EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL), novellierte Düngeverordnung, EU-Regeln über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, spezifische Standards und Auflagen in der Tierhaltung, Bürokratie und Cross Compliance im Rahmen der GAP, Greening der EU-Direktzahlungen sowie die anstehende Novelle der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft. Nicht erfasst sind dagegen Standards und Auflagen, deren Kosten sich nur schwer oder gar nicht erfassen lassen. Unterschiedliche Sozialstandards blieben in der Studie unberücksichtigt.
Wettbewerbsnachteil der deutschen Landwirtschaft von gut 4 Milliarden Euro
Die berücksichtigten EU-Standards und Auflagen sind für die deutsche Landwirtschaft mit Kosten von rund 5,3 Milliarden Euro oder 315 Euro je Hektar verbunden. Nur etwa 1,2 Milliarden Euro oder 69 Euro je Hektar würden an entsprechenden Kosten anfallen, wenn in der EU vergleichbare Wettbewerbsbedingungen wie in wichtigen Wettbewerbsländern außerhalb der EU gelten würden. Damit haben die deutschen Landwirte gegenüber ihren Berufskollegen im Wettbewerb und bei offenen Märkten einen Nachteil von 4,1 Milliarden Euro oder 246 Euro je Hektar. Je Haupterwerbsbetrieb sind das jährlich 22.000 Euro und für einen durchschnittlichen Betrieb mit der Rechtsform einer juristischen Person 312.000 Euro.
Kosten der Einhaltung von EU-Standards und Auflagen in Milliarden Euro
Viele EU-Umweltstandards sind weltweit einzigartig
Eine ganze Reihe von EU-Standards und Auflagen hat in Drittländern wie Australien, Neuseeland, USA, Brasilien, Kanada oder die Ukraine keine Entsprechung. Dazu gehören das Greening der GAP, die Auflagen aus der neuen Düngeverordnung oder aus der EU-Pflanzenschutzgesetzgebung oder Cross Compliance-Vorgaben im Rahmen der EU-Direktzahlungen. Die Berliner Forscher des HFFA ermittelten im Rahmen von Fallstudien zwar Unterschiede in den Auflagen der Hauptbewerber außerhalb der EU, jedoch sind diese grundsätzlich durchweg wesentlich niedriger als in der deutschen bzw. europäischen Landwirtschaft.
Ergebnisse aus den Fallstudien - Beispiele
- Die standard- und auflagebezogenen Kosten von Rinderhaltern in Australien liegen in einem Bereich von ca. 16 bis knapp 35 Prozent der entsprechenden Kosten eines Futterbaubetriebs in Deutschland.
- Die Kosten von Tierwohl-, Nahrungsmittelsicherheits- und Tiergesundheitsstandards sowie eines umweltbezogenen Stickstoffmanagements und von Pflanzenschutzbestimmungen betragen in ausgewählten Wettbewerbsländern außerhalb der EU „im Mittel“ etwa nur 34 Prozent der entsprechenden Kosten in Deutschland.
- Die standard- und auflagenbezogenen Kosten in der Geflügelfleischerzeugung sind in allen wichtigen Wettbewerbsländern Deutschlands in der Regel erheblich geringer – im Mittel betragen sie nur 64 Prozent.
- Die wasserrechtlichen Bestimmungen in den USA sind weitaus weniger restriktiv als in der EU bzw. Deutschland.
Schlussfolgerungen des DBV aus den Ergebnissen der Studie
- Die deutschen Landwirte stehen ohne Wenn und Aber zu den hohen europäischen und nationalen Standards für Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung. Dies gilt besonders für den Umwelt-, Klima- und Tierschutz, aber auch für andere Bereiche. Unter den Bedingungen offener Märkte sind unsere europäischen und nationalen Standards öffentliche und gesellschaftlich gewünschte Leistungen der Landwirtschaft, denen ein Wert zugemessen werden muss. In der öffentlichen Debatte muss aber richtig mit dem Argument der öffentlichen Leistungen umgegangen und die gesamte Palette solcher Leistungen einbezogen werden.
- Belastungen durch staatliche Auflagen und Standards müssen zwingend berücksichtigt werden, wenn über die Zukunft der Landwirtschaft diskutiert wird. Für die deutschen Landwirte führen die analysierten Bereiche zu Mehrkosten und Mindererlösen, und zwar im Umfang von jährlich weit über 5,2 Milliarden Euro. Diese Kosten sind erheblich und stellen einen beachtlichen Posten dar, der sich auf die Wettbewerbsfähigkeit und Einkommenssituation der Landwirte auswirkt.
- Der Vergleich mit wichtigen Wettbewerbsländern außerhalb der EU zeigt die Mehrbelastungen der deutschen Landwirte deutlich auf (jährlich 4,1 Milliarden Euro oder 246 Euro je Hektar). Der Landwirtschaft hierzulande entsteht damit ein Wettbewerbsnachteil, der in der politischen Diskussion um die GAP und die EU-Agrarzahlungen berücksichtigt werden muss. Dies gilt besonders mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft innerhalb der bestehenden vielfältigen Agrarstrukturen.
- In offenen Märkten arbeiten die deutschen Landwirte bei vielen Produktbereichen im direkten Wettbewerb mit Anbietern, die niedrigere oder gar keine Standards zu erfüllen haben. Diese Entwicklung ist eine Folge der seit den frühen 1990er Jahren politisch vorgegebenen Deregulierung und Öffnung der Agrarmärkte. Bei zahlreichen in Verhandlung befindlichen und noch geplanten Handelsabkommen ist zu erwarten, dass die Entwicklung weitergehen und das genannte Spannungsfeld sich weiter verschärfen wird.
- Neue Herausforderungen und die Einhaltung der bestehenden Auflagen und Standards erfordern von den Landwirten kontinuierliche Investitionen, um die Anforderungen zu erfüllen. Selten bzw. gar nicht werden die damit verbundenen Zusatzkosten und Qualitätssteigerungen bei den Erzeugnissen über den Erzeugerpreis honoriert. Die Studie belegt, dass den Direktzahlungen – in welcher Form auch immer – öffentliche Leistungen in nicht unerheblichem Umfang entgegenstehen. In der Diskussion um die künftige EU-Agrarförderung einschließlich EU-Haushalt und Europäischer Green Deal muss das berücksichtigt werden.
Kostenunterschied gegenüber Wettbewerbern in wichtigen Ländern außerhalb der EU