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Bernhard Krüsken
Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes
Foto: Breloer/DBV

Spätestens in Wahljahren sollte die Politik über das Tagesgeschäft hinausblicken und zu grundsätzlichen und strategischen Fragen Position beziehen. Das gilt auch und insbesondere für die Zukunft der Landwirtschaft. Strategie und Vision allein helfen nicht, es braucht auch eine Standortbestimmung und Bestandsaufnahme. Ein ehrlicher Blick auf die Bilanz der zu Ende gehenden Legislaturperiode zeigt ein durchwachsenes Bild. Viele Rückzugsgefechte, aber nicht wirklich strategische Weichenstellung für die Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland: Ordnungsrechtliche Aufrüstungen auf breiter Front, häufig als nationaler Sonderweg, einige verpasste Chancen, Rückbau steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten und als „krönender“ Abschluss ein Insektenschutzpaket, das diesen Namen nicht verdient sowie eine gesetzgeberische Unterlassung im Bau- und Immissionsschutzrecht, die sich wegen einer verantwortungslosen koalitionären Basarmentalität eines Partners zu einer faktischen Tierwohlbremse auswächst.

Strukturwandel beschleunigt

Ja, es gibt natürlich auch einige Aktivposten und Erfolge im Sinne der Landwirtschaft, die die Agrarpolitiker durchsetzen konnten. Aber in der Summe sind in den zurückliegenden vier Jahren einige Rahmenbedingungen gesetzt worden, die den Strukturwandel der kommenden Jahre über das bisherige, im statistischen Sinn „normale“ Maß hinaus beschleunigen werden, und zwar drastisch. Ein erheblicher Teil dessen ist der Statik einer großen Koalition zuzuschreiben, in der einer der beiden Partner kein Interesse am Gelingen von Landwirtschaft hat und die Kontroverse innerhalb der Bundesregierung institutionalisiert und ritualisiert.

Corona hat unserer Branche eine Aufmerksamkeitsspanne in Sachen Systemrelevanz beschert, die aber nicht lange angehalten hat. Nachhaltige Landwirtschaft und Versorgungssicherheit trotz Politik – so könnte die Aufgabe für die nächsten Jahre lauten.

Wer etwas bewegen will, muss sich selbst auch bewegen

Aber dies soll keine Klage sein, sondern eine Bestandsaufnahme. Die politischen Rahmenbedingungen sind im Umbruch und wir müssen damit umgehen. Die aktuelle Mehrheit der Demoskopen erwartet die anstehende Gewichtsverschiebung in der Parteienlandschaft in der gleichen Richtung. Die nächste große Koalition (in anderer Farbkombination) braucht Gemeinsamkeiten und Annäherung zwischen den Partnern, die nicht nur, aber besonders bei den Themenfeldern Agrar und Ernährung nicht ohne Schrammen abgehen dürfte. Dazu gibt übrigens manche aktuelle Abstimmungssituation im Bundesrat einen Vorgeschmack. Die Landwirtschaft steht aber nicht mit leeren Händen da, weil sie für die Megathemen der kommenden Jahre  allen voran der Umgang mit dem Klimawandel und Biodiversität  den Schlüssel zur Lösung in der Hand hat. Eine Binsenweisheit für die Interessenvertretung lautet, dass es nicht darauf ankommt, eine Forderung oder Position zu haben oder auf möglichst schrille Weise einzunehmen, sondern dass am Ende des Tages nur die tatsächliche politische, gesetzgeberische oder fiskalische Veränderung zählt. Die Schmollecke ist zwar bequem und einfach, aber keine zukunftstaugliche Option. Wer etwas bewegen will, muss sich auch bewegen, und zwar hinein in die Verhandlung zur Durchsetzung eigener Positionen und zur Gewinnung von Mehrheiten, ohne die kaum etwas bewegt werden kann.

Selbst senden, verbreiten und netzwerken

Politische Wirkungen kann man nicht ohne einen Blick auf Kommunikation und Medien bewerten. Gerade die Medienwelt war in den zurückliegenden Jahren selbst Gegenstand radikaler Umbrüche. Die Digitalisierung hat hier manches etablierte Biotop in den klassischen Medien zerstört. Soziale Medien geben den Takt vor, was hier läuft, kommt auch ins klassische Medium und selbst die gute alte Tageszeitung ist nur noch eine analoge Zweit- oder Drittverwertung von Trends und Inhalten aus digitalen sozialen Medien. Aufmerksamkeit und Klickraten sind die neue Währung, wer hier mithalten will, muss rhetorisch zulangen. Medienschelte ist vor diesem Hintergrund so sinnvoll wie eine Klage über das Wetter. Was hier hilft: selbst senden, verbreiten und netzwerken.

Wertewandel in der Gesellschaft gibt den Takt vor

Dass hinter den politischen Mehrheitsverhältnissen auch ein Wertewandel bei Verbrauchern und Gesellschaft steckt, ist ebenfalls keine Neuigkeit. Auch wenn nicht alle Verbraucher ihre in Umfragen geäußerte Haltung konsequent in Kaufentscheidungen umsetzen, schmücken sich doch die Abnehmer in Lebensmittelhandel und Ernährungsindustrie immer stärker mit Nachhaltigkeitsetiketten aller Art. Die Markenartikler gehen voran, die Handelsmarken folgen. Märkte werden immer stärker segmentiert und fragmentiert, aus Nischen werden Marktsegmente. Der Trend zum stärkeren Blick auf Prozess- und Erzeugungsbedingungen läuft bei Lebensmitteln schon geraume Zeit und schlägt sich in einigen Marktsegmenten immer stärker in Listungsbedingungen, sprich Voraussetzungen zum Marktzugang, nieder. Die wirtschaftliche Bedeutung der so genannten Bulkware verschwindet nicht, aber wird tendenziell geringer, zumal der Wettbewerbsdruck in diesen Marktsegmenten immer weiter steigt.

Krisen als Katalysator für Veränderungen

Weitere Treiber von Veränderung sind Krisen und öffentlicher Druck. Die Antwort auf die Lebensmittelskandale der 80er und die BSE-Krise der späten 90er Jahre waren Systeme wie QS und QM Milch, die Antwort auf die kritische Antibiotika-Debatte war die Einführung des Antibiotika-Monitorings und die damit verbundene massive Reduktion des Einsatzes. Eine (erste) Antwort auf die Tierwohl-Debatte war die Initiative Tierwohl. In diesen Fällen ist es der Landwirtschaft gelungen, als Teil der Kette Zugriff und Gestaltungsmöglichkeit zu behalten und gleichzeitig die Verbindung zum Markt und zum Verbraucher nicht zu verlieren. Es gibt andere Beispiele, bei denen die Politik via Gesetzgebung auf vergleichbare Herausforderungen reagiert hat. In vielen solcher Fälle ist dabei wenig Sinnvolles für das eigentliche Problem herausgekommen; was blieb war oft nur ein weiterer nationaler Sonderweg.

Veränderung gestalten – initiativ und aktiv

Foto: Pixelkult/pixabay

Das Motto „Veränderung gestalten“ gilt auch für die veränderte Mediennutzung. Die altbewährten Tageszeitungen sind zwar noch kein Auslaufmodell, aber an den sozialen Medien führt heute auch für Verbände und seine Mitglieder kein Weg mehr vorbei.

(Foto: Pixelkult/pixabay)

Was folgt daraus: Herausforderungen selbst und offensiv angehen, Entwicklungen aufgreifen, denen man nicht ausweichen kann – eben Veränderung gestalten. Dieses Motto hat sich der DBV bereits vor einigen Jahren gegeben und es hat nichts an Aktualität eingebüßt. Der richtige Umgang mit Veränderungen ist Voraussetzung für Zukunftsfähigkeit. Das Zukunftskonzept des DBV ist ein Baustein dafür, genauso wie die Kernanliegen und Positionen, mit denen der DBV seinen Beitrag zum Wahlkampf 2021 leistet (Hinweis der Redaktion: Kurzfassung der „Kernanliegen des DBV zur Bundestagswahl 2021“ in dieser dbk). Wir müssen uns der Veränderung stellen, um sie selbst gestalten zu können. Dazu soll diese dbk-Ausgabe Impulse liefern, das wollen wir beim digitalen Bauerntag 2021 unter der Überschrift „Zukunft Landwirtschaft“ angehen.