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Bernhard Krüsken
Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes

Ein Festakt anlässlich des 75. Geburtstags des DBV mag nicht der zentrale Dreh- und Angelpunkt des Berliner Politikbetriebes sein, gibt aber schon einige Einblicke in die Rolle und Wahrnehmung unserer berufsständischen Vertretung: ein Bundeskanzler,der nicht nur mit seiner Anwesenheit, sondern auch in seiner Ansprache ein klares Bekenntnis zur Landwirtschaft und zu deren Unterstützung abgibt, eine starke Präsenz aller politischen Parteien und natürlich der Mitglieder und Stakeholder, mit denen der DBV zu tun hat. Dazu ein klarer Fokus auf die Zukunft des Verbandes und auf junge Unternehmer, die die kommenden Jahre gestalten wollen und werden – alles in allem eine respektable Bilanz und eine gute Grundlage, um für die Bauernfamilien weiterzuarbeiten und deren Zukunft zu sichern.

Raus aus der Bürokratiehölle …
Zurück im Tagesgeschäft wird mehr als deutlich, dass der Blick aufs große Ganze allein nicht weiterhilft, sondern dass die tägliche Kleinteiligkeit von Gesetzgebung und staatlicher Regulierung ganz anders daherkommt als die allgemeinen Unterstützungsbekundungen. Der Weg in die Bürokratiehölle ist nur manchmal mit guten Absichten gepflastert. Diese Anleihe bei einem bekannten Zitat drängt sich auf, wenn man den aktuellen Debatten über die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands, seiner Industrie und seiner Wettbewerbsfähigkeit zuhört. Kein Akteur widerspricht ernsthaft dem Befund, dass Bürokratieabbau nicht nur notwendig und wünschenswert ist, sondern auch eine knallharte Überlebensbedingung für Wettbewerbsfähigkeit, Wohlstand, Weiterentwicklung und letztlich für das Funktionieren unseres Gemeinwesens darstellt. Landwirte sind übrigens diejenige Berufsgruppe, der man das am allerwenigsten erklären muss.

… rein in die Bürokratiehölle
Trotzdem gibt es wohl kein Thema in Deutschland, bei dem politische Absichtserklärungen (aller Akteure und Parteien) noch krasser vom tatsächlichen gesetzgeberischen Handeln abweichen. Zugegebenermaßen hat man als Verband einen besonderen Blick darauf, weil man täglich mit neuen Gesetzgebungsprojekten zu tun hat. Aber jeder Landwirt, jeder Handwerker, jeder Unternehmer kennt die deutsche Bürokratiehölle aus eigener Erfahrung und wird nicht widersprechen. Jede Reformrunde zur GAP beginnt mit dem politischen Versprechen des Bürokratieabbaus und endet mit noch mehr Bürokratie. Jüngstes Beispiel aus unserem Bereich, das exemplarisch für viele Rechtsetzungs- und Gesetzesprojekte steht: die europäische Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten, die nun national umgesetzt werden muss (übrigens nicht zu verwechseln mit dem deutschen Lieferketten-Sorgfaltspflichtgesetz, das kommt für größere Unternehmen nochmal obendrauf). Die Grundidee ist nicht ganz abwegig, weil für unsere Landwirtschaft hochgradig wettbewerbsrelevant: Importeure und Verarbeiter von einschlägigen Rohstoffen sollen sicherstellen, dass es in ihrer vorgelagerten Lieferkette in Sachen Landnutzungsänderung mit rechten Dingen zugeht. Südamerikanisches Rindfleisch ist das klassische Beispiel dafür.
Nun bezieht die Verordnung, angeblich aus Gründen der WTO-Konformität, die heimische Erzeugung von Rindfleisch, Soja und Holz mit ein, lässt aber die Möglichkeit, Regionen und Staaten ohne Entwaldungsproblem bzw. illegale Abholzung auszunehmen oder aus den umfangreichen Dokumentationspflichten zu entlassen. Wie gesagt steht nun die nationale Umsetzung an, bei der in unseren Ministerien und Behörden ernsthaft darüber diskutiert wird, sämtliche Rindfleischerzeuger, Waldbesitzer und Sojaanbauer einzeln zu registrieren und zu einem ausufernden Zertifikatswesen zu verpflichten – erkennbar eine Übermaßregelung, die nur viele Planstellen in Behörden schafft, Bekanntes und bereits Bewiesenes (kein Entwaldungsgeschehen in Deutschland) nochmal bestätigt, nichts zum Ziel der Verhinderung von Entwaldung beiträgt und last, but not least die betreffenden Erzeuger nervt und mit einem absehbar irrwitzigen Persilscheinwesen in der Vermarktungskette belastet. Es ist völlig unverständlich, warum hier höchstbürokratischer Akkuratesse der Vorrang gegenüber einem pragmatischen Vorgehen gegeben wird. Man könnte ja das Offensichtliche amtlich bestätigen und die Spielräume in Richtung weniger Bürokratie nutzen – aber wahrscheinlich ist das eine tiefliegende dunkle Seite der deutschen Seele.

Pragmatismus dringend nötig
Der europäische Gesetzgeber hat uns ein weiteres Beispiel beschert, das nicht nur ärgerlich ist, sondern außerdem die Finanzierung von ganzen Wirtschaftsbereichen, darunter auch die Landwirtschaft, massiv erschweren kann. Die Regelungen zur Taxonomie und zur Green Finance zwingen börsennotierten Unternehmen, Banken und Versicherungen umfangreiche Berichtspflichten zur Nachhaltigkeit in Lieferketten, in Finanzanlagen sowie bei Kreditkunden und Versicherten auf. Obwohl die Landwirtschaft selbst nicht berichtspflichtig ist und Nachhaltigkeitskriterien für die Finanzierung im Gegensatz zu anderen Sektoren noch nicht festgeschrieben sind, wirkt dieses Regelwerk indirekt, weil z. B. Banken und Versicherungen gezwungen sind, entsprechende Auskünfte bei ihren Kunden einzuholen. Im Moment sind viele Akteure unterwegs, sich darauf vorzubereiten. Die Fragebogen wachsen und Zertifizierer wittern ein neues Geschäftsfeld, während die landwirtschaftlichen Organisationen versuchen, das Ganze pragmatisch zu halten, vorauseilende Ignoranz zu verhindern und Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung finanzierbar zu halten.

Bürokratieabbau als Mittel gegen Politikverdrossenheit und deren Profiteure
Die Aufzählung ähnlicher verunglückter Regelungen muss hier nicht fortgeführt werden, jeder kennt solche Beispiele. Das Muster ist aber ähnlich, überflüssige Bürokratie hat meistens drei Ursachen: erstens zusätzliche und neue Gesetzgebung, angetrieben durch vermeintliche Regelungslücken, Profilierung und Aktionismus der Akteure oder durch tatsächliche Veränderungsabsichten, zweitens eine administrative Umsetzung mit starker Verantwortungsdiffusion im behördlichen Apparat und fehlendem Bewusstsein für die Effizienz von Prozessen und drittens das Unvermögen, alte, überholte oder widersprüchliche Vorschriften einfach zu streichen. Andersherum gesagt: Neue Gesetze und Verordnungen machen kann jeder, aber die eigentliche hohe Schule zukunftsweisender und verantwortungsvoller Politik ist der Bürokratieabbau – und ganz nebenbei auch ein wirksames Mittel gegen Politikverdrossenheit und deren Profiteure.