Autor
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Bernhard Krüsken
Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes
Breloer/DBV

Die Ampelkoalition vermarktet die Beschlüsse der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause als „größtes Entlastungspaket“. Der Bundeslandwirtschaftsminister spricht gar von „Überkompensation“ der Landwirtschaft durch die Aussetzung der Stilllegungsverpflichtung und der kalkulierende Landwirt fragt sich, wie man es schafft, bei der Bewertung des Entlastungspäckchens so krass danebenzuliegen.

Lange Liste mit Belastungen
Da lohnt doch der Blick auf die tatsächlichen Be- und Entlastungen der zurückliegenden 24 Monate. Fangen wir mit den unmittelbar haushälterischen Belastungen und Kürzungen an: Kürzung des Zuschusses zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung, Streichungen bei der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz, Streichung der Agrardiesel-Regelung und die Einführung der CO2-Abgabe. Dann sind die Umschichtungen in der GAP zu Lasten unmittelbar einkommenswirksamer Komponenten anzurechnen, ebenso die Auswirkungen des fehlerhaft berechneten und um mittlerweile über zwei Prozentpunkte abgesenkten Satzes für die Umsatzsteuerpauschalierung (die Auswirkungen der Umsatzobergrenze gehören nicht dazu, die hatten wir bekanntlich der Vorgängerregierung zu verdanken) sowie die Einschränkungen beim Investitionsausgleichsbetrag. Zu den zusätzlichen Belastungen gehören auch die Kosten für umgesetzte und anstehende nationale ordnungsrechtliche Alleingänge: die Novellierung des Tierschutzgesetzes mit hoher Investitionsrelevanz und laufendem Zusatzaufwand für tierärztliche Leistungen und Ringelschwanz-Management, das Pflanzenschutz-Reduktionsprogramm der Bundesregierung mit Refugialflächen und Anwendungsbeschränkungen in Schutzgebieten, das Anwendungsverbot für Glyphosat in Wasserschutzgebieten, die Stoffstrombilanz-Verordnung sowie höherer Bürokratieaufwand im Zuge der GAP-Umsetzung der zurückliegenden zwei Antragsjahre.

Kurze Liste mit vermeintlichen Entlastungen
Demgegenüber stehen auf der Entlastungsseite die Fortführung der Tarifglättung (die eigentlich keine echte Entlastung ist, sondern nur der Verzicht auf eine höhere Besteuerung), die Beibehaltung des Schutzbereiches im AgrarOLKG (ebenfalls eine Fortführung und keine echte Entlastung), die Teilumsetzung einer von europäischer Seite vorgegebenen Reduktion von GAP-bedingter Bürokratielast und eine Umwidmung innerhalb der 1. Säule zu Eco-Schemes für das Grünland – auch hier ein Nullsummenspiel für die Landwirtschaft, weil damit keine zusätzlichen Mittel verbunden sind. Die Aussetzung der Stilllegungsverpflichtung muss hier angerechnet werden und strenggenommen auch die jährlichen Mittel für das Bundesprogramm zum Umbau der Tierhaltung (obwohl durch GAK-Kürzungen finanziert, s.o.). In Aussicht gestellt ist weiter eine Ausweitung der Tierhaltungskennzeichnung, deren Effekt aber fraglich bleibt, weil hier bereits zusätzliche Registrierungs- und Bürokratiepflichten auch für die Tierhalter festgeschrieben sind.

Ernüchterung bleibt
Unterm Strich bleiben deutliche Ernüchterung und der Befund, dass die der Landwirtschaft aufgepackten Belastungen mindestens ein Mehrfaches der beworbenen Entlastungen ausmachen. Selbst wenn man annimmt, dass bei der Berechnung der eingangs genannten „Überkompensation“ aufgrund des Wegfalls der verpflichtenden Flächenstilllegung Umsatz und Deckungsbeitrag verwechselt worden sind, kommt man nicht annähernd an die Größenordnung des Agrardiesels heran, geschweige denn an die Summe der Belastungen. Die überschlägige Schätzung kommt bei den Belastungen auf eine Größenordnung von 2,5 bis 3 Mrd. Euro und auf der Gegenseite auf etwa ein Zehntel.

Inhaltlicher Politikwechsel ist unverzichtbar
Was sagt uns das über die Kultur und Qualität der politischen Debatte? Natürlich ist die Haushaltslage mehr als angespannt und natürlich möchte man das Ergebnis gesetzgeberischer Prozesse bestmöglich vermarkten, das versteht jeder. Aber eine solche Rhetorik mit drastischer Verdrehung der tatsächlichen Verhältnisse lässt uns alle ratlos zurück. Zwei Deutungen sind möglich: Entweder man weiß es eigentlich besser und hält den Rest der Welt für naiv, obrigkeitsgläubig oder gar unterbelichtet – dann erübrigt sich eine ehrliche und offene weitere Diskussion. Die andere Variante besteht darin, dass man tatsächlich glaubt, die Wirklichkeit allein mit der Kraft seiner eigenen Worte formen zu können. Dann muss man sich aber dem Vorwurf der Weltferne oder gar der fehlenden Realitätswahrnehmung stellen. Ohne Wertung darf man festhalten, dass unabhängig vom Inhaltlichen oder von der Sinnhaftigkeit der Beschlüsse beide Varianten Brandbeschleuniger für Politikverdrossenheit und Frustration sind. Deutlicher kann man nicht zeigen, dass ein anderer Umgang miteinander und ein Wechsel der Politik hermuss.