Das Ende der Regierungskoalition – nach monatelangem Ampelflackern – war in der Rückschau konsequent, überfällig und zur volkswirtschaftlichen Schadensbegrenzung auch notwendig. Mühelos haben die Akteure in den Wahlkampfmodus geschaltet und rollen ihre individuellen und natürlich sehr unterschiedlichen Wirklichkeiten aus. Die kleinteiligen Abrechnungen im Rosenkrieg nach der Trennung oder inszenierte Empörungswellen über hanebüchene PowerPoint-Präsentationen verdrängen schon wieder den Blick auf den immensen Handlungs- oder besser Sanierungsbedarf in wirklich dringenden Politikfeldern: innere und äußere Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit, volkswirtschaftlicher Abschwung und Wohlstandsverlust, Energiekosten, Arbeit und Soziales, Infrastruktur, Bürokratie, ausufernde Staatsquote und einiges mehr.
Wirtschaftspolitischer Kurs gefordert
In der Spekulation über mögliche zukünftige Koalitionen geht in diesen Tagen vor allem eines verloren: das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit einer neuen Bundesregierung, vor allem, was die genannten Herausforderungen angeht. Für den notwendigen und überfälligen Bürokratieabbau wird ein echter „Drachentöter“ gesucht, der nicht nur bei Formularen und Meldepflichten aufräumt, sondern die wahre Quelle von Bürokratie, d. h. Rechtsvorschriften, Gesetze, Verordnungen, Erlasse und Verwaltungsvorschriften, konsequent reduziert und zurückbaut. Auch der in den zurückliegenden Dekaden üppig gewachsene administrative Apparat braucht eine Schrumpf- und Effizienzkur, damit zur Abwechslung auch die Wirtschaft wieder wachsen kann. Das jüngste Beispiel der europäischen Entwaldungsverordnung EUDR zeigt, dass es selbst für die Abschaffung kleinräumiger, nicht zielführender und offensichtlich absurder Regelungen eine enorme politische Kraft braucht. Das klare Votum des Europäischen Parlaments zur Verschiebung der Anwendung und zur Entlastung heimischer Erzeuger stieß auf den Widerstand der Mitgliedstaaten, die von der begonnenen Installation sinnfreier Bürokratie nicht lassen wollten – darunter auch die Bundesregierung. Wie auch immer: Ohne einen klaren wirtschaftspolitischen Kurs und ein zügig umgesetztes Sofortprogramm zur Wiederherstellung von Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit wird eine neue Bundesregierung im „Weiter so“ steckenbleiben und die Probleme nicht lösen und wahrscheinlich vergrößern. Das gilt für alle Politikbereiche und natürlich uneingeschränkt auch für die Agrar- und Ernährungsbranche – und hier ganz besonders für das Schwerpunktthema dieser Ausgabe, die Tierhaltung.
Schattenbürokratie abbauen
Die Debatte über Bürokratieabbau fokussiert sich verständlicherweise zuerst auf gesetzlich und behördlich verursachte Bürokratie. Es gibt aber auch Problemfelder, die in anderen oder in Grenzbereichen entstanden sind. Dazu zählen zum einen die Berichtspflichten, die zwar einen gesetzlichen Bezug haben, aber von Akteuren in der Wirtschaft in vorauseilendem Gehorsam überinterpretiert und in der Lieferkette als Zusatzbürokratie weitergegeben werden, z. B. beim Lieferkettensorgfaltspflichten-Gesetz, bei Berichtspflichten nach der CSRD und der Taxonomie. Nicht umsonst sind im aktuellen Branchenkonjunktur-Vergleich Steuerberater und Wirtschaftsprüfer neben dem öffentlichen Sektor die einzigen Wachstumsbereiche in Deutschland – ein makroökonomisches Alarmsignal. Zum anderen sind die Zertifizierungssysteme zu nennen, die zwar ursprünglich in privatwirtschaftlicher Initiative entstanden sind, aber im Laufe der Jahre eine Eigendynamik entwickelt haben. Betriebe auf jeder Stufe der Lieferkette sind mit einer großen Zahl an Audits und Kontrollen konfrontiert, an der auch die Etablierung von Branchenstandards nicht viel geändert hat. Keines dieser Systeme hat bisher Kontrollsystematik, Leitfäden oder Checklisten nennenswert verschlankt, sondern lediglich ergänzt, wobei über die Jahre hinweg der Regelungsbestand deutlich zugenommen hat. Treiber dieser Entwicklung sind die Anforderungen einzelner Stakeholder und insbesondere des Lebensmittelhandels, der die Systeme ständig mit Zusatzanforderungen aufrüsten will, auch wenn diese inhaltlich und fachlich fragwürdig sind. Krasse Fehlentwicklungen treten vor allem dann ein, wenn konkurrierende Systeme in einen „Schönheitswettbewerb“ eintreten und sich in den Anforderungen an die (umsetzenden und zahlenden) Teilnehmer überbieten wollen, wie zum Beispiel im Bereich Obst und Gemüse. Hier ist die Wirtschaft beim Rückbau der hausgemachten Bürokratie selbst gefordert.
Ungleicher Wettbewerb – politisch verordnet
Die kurz vor Redaktionsschluss von der EU-Kommission gefundene Einigung mit den Mercosur-Staaten über ein Handelsabkommen unterstreicht die Notwendigkeit einer echten politischen und gesetzgeberischen Wende in Deutschland und Europa. Zum geplanten Abkommen ist in der Sache alles gesagt, was die absehbare Aushöhlung der europäischen Standards und den billigend in Kauf genommenen Export der landwirtschaftlichen Erzeugung angeht. Mit der Zustimmung zu Mercosur in dieser Form kann man die agrarpolitischen Bekenntnisse zur Stärkung der Landwirtschaft bestenfalls als Sonntagsrede abhaken. Als Wahlkampfinszenierung und Beruhigungspille kann man nun auch das Ergebnis des Strategischen Dialogs betrachten, das natürlich keinerlei Eingang in die Verhandlungen zum Agrarteil des Mercosur (der übrigens seit einigen Jahren unverändert auf dem Tisch liegt – so viel zu Behauptungen, man hätte „die Landwirte gehört“) oder in die vage angekündigten Ausgleichsmaßnahmen gefunden hat. Was bleibt nun zu tun? Das Verhandlungsergebnis muss noch von Rat und Parlament bestätigt werden. Ändert sich hier nichts mehr, ist die EU gefordert, die absehbar negativen Auswirkungen einzudämmen, mit klaren und verbindlichen Kennzeichnungsregelungen für geografische Herkunft und für Standards in der Erzeugung und mit verschärften Kontrollen für Lebensmittelsicherheit, Rückstandshöchstwerte oder der Standards, die für EU-Importe vereinbart sind. Auch die europäischen Auflagen und Anforderungen für Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung müssen auf den Prüfstand. Definitiv kein sinnvoller Weg ist es, nur den europäischen Akteuren und Marktteilnehmern Berichtsund Zertifizierungspflichten nach dem Muster der EUDR aufzuzwingen. Das würde die Wettbewerbsnachteile konservieren und gleichzeitig die europäischen Bürokratielasten erhöhen. Wird Mercosur so verabschiedet, muss die EU auch beim Finanzrahmen für die Landwirtschaft mehr bereitstellen als einen Inflationsausgleich und eine zusätzliche Finanzierung der neuen Aufgaben bei Klimaschutz und Biodiversität – es geht um die Absicherung europäischer Standards und der europäischen Landwirtschaft.