Gerade hat sich der öffentliche Blick auf die heimische Landwirtschaft etwas gedreht, auf Versorgungssicherheit, gute Standards und Verlässlichkeit gerichtet, da kommen die Demagogen und Agrarkritiker wieder aus der zeitweiligen Schweigsamkeit. Eine ehemalige Landwirtschaftsministerin schwadroniert über Landwirtschaft als Pandemieursache und die amtierende Umweltministerin sieht die alleinige Ursache für Artenschwund und sämtliche Umweltprobleme ebenfalls in unserem Sektor.
Im ersten Fall mag man das noch als Abdriften politischer Altenteiler in die Welt der fake news und Verschwörungstheorien einordnen. Der zweite Fall stimmt schon eher bedenklich – nicht etwa, weil man diesen als Zeugnis analytischen Unvermögens, begrenzter Fachkompetenz oder einer eindimensionalen Weltsicht deuten könnte. Das Problem liegt vielmehr darin, dass solche öffentlichen Äußerungen hier offensichtlich im vollen Bewusstsein der Verkürzung und der Zuspitzung gemacht werden.
Dialog statt Polarisierung
Einfalt und Naivität sind in der Politik taktische Kategorien und werden auch gerne vorgespielt. Was folgt daraus: Diese pauschalen Anschuldigungen sind eigentlich nur zu verstehen als eine konsequente Absage an Dialog und sachliche, sachgerechte Auseinandersetzung, an Kooperation im Natur- und Umweltschutz und an einen fachlich-wissenschaftlich fundierten Blick auf die Probleme. Sie sind auch ein trauriges Zeugnis dafür, wohin schlechte Umfragewerte manche Akteure treiben können und wie für eine Handvoll Zehntelprozente Polarisierung zur Profilierung betrieben wird.
Bedenklicher Verfall der politischen Kultur
Liest man das Ganze so, dann sind öffentliche Wut und Empörung von Landwirten zwar absolut nachvollziehbar und berechtigt. Effektiver und für Außenstehende verständlicher wäre es aber, den Mechanismus dahinter offenzulegen und anzuprangern, dass dieses Agrar-Bashing in weiten Teilen eher an eine schlechte Seifenoper als an eine ernsthafte politische Auseinandersetzung erinnert. „Herumtrumpen“ auf der Landwirtschaft war bisher einigen wenigen Hilfstruppen aus dem Kreis der „Nicht-wirtschaftsgetragenen Nichtregierungsorganisationen“ vorbehalten. Wenn das jetzt auf Teile der Bundesregierung übergreift, dann ist das ein bedenklicher Verfall der politischen Kultur und gibt einen ausgesprochen schalen Vorgeschmack auf den in einigen Monaten heraufziehenden Wahlkampf.
Tierschutz-NutztierhaltungsVO: statt Rechtsicherheit drohen neue Auflagen
Dort hinein – oder besser in den politischen Schönheitswettbewerb einiger Bundesländer – ist auch die Tierschutz- Nutztierhaltungsverordnung geraten, die nach mehreren Anläufen (und drei Tage nach Redaktionsschluss) erneut auf der Tagesordnung des Bundesrates steht. Wie auch immer die Abstimmung ausgeht, die Tierhalter werden definitiv nicht auf der Gewinnerseite stehen. Zur Erinnerung: Es sollte eigentlich darum gehen, a) diejenigen handwerklichen Fehler in der alten Verordnung zu beheben, die vom Magdeburger Urteil sehr deutlich offengelegt worden sind, und b) mehr Rechtssicherheit für Schweinehalter und Behörden zu schaffen.
Strukturbruch in der Schweinehaltung droht
Die Branche braucht nach wie vor eine Entscheidung, um Investitionen angehen zu können. Die Geschichte des Entwurfs ist bekannt, genauso die vielen zusätzlichen Anträge mit Verschärfungen auch für andere Tierarten. Der DBV weist seit Jahren auf die fachlichen Defizite und den bei Umsetzung absehbaren Strukturbruch in der Schweinehaltung hin. Resultat dieser Debatte waren relativ lange Übergangsfristen, die nun aber wieder verkürzt werden sollen – ein Stilllegungsprogramm mit Ansage für die bäuerliche Schweinehaltung in kleinen und mittleren Betrieben. Das Mindeste, was die Politik tun muss, um diesen Kollateralschaden zu begrenzen, ist neben ausreichenden Übergangsfristen die sofortige Anpassung des Bau- und Immissionsschutzrechts, damit Investitionen in neue Standards, aber auch in mehr Tierwohl überhaupt erst möglich werden.
Konzept der Borchert-Kommission zeigt richtigen Weg auf
Die ganze Angelegenheit ist ein überzeugender Beleg dafür, dass die „Borchert-Kommission“ mit ihrem Konzept für den Umbau der Tierhaltung in Deutschland auf dem richtigen Weg ist bzw. die Risikofaktoren für die Zukunftsfähigkeit der Tierhaltung zutreffend identifiziert hat: Ordnungsrecht in kleinem Karo mit Blockadewirkung und -absicht, Klagen gegen handwerkliche Unzulänglichkeiten in der Gesetzgebung und Stilllegung mit Mitteln des Genehmigungs- und Umweltrechts. Es wird höchste Zeit, das Konzept umzusetzen, und zwar in Gänze, d.h. nach Festschreibung des Tierwohlvorrangs im Baurecht, mit einer tragfähigen und vor allem nachhaltig gesicherten Finanzierung, mit einem umsetzbaren Zielbild und begleitet mit einer verpflichtenden Haltungsform- und Herkunftskennzeichnung.
Green Deal an Erfahrungen der Corona-Pandemie anpassen
Abschließend noch ein Hinweis zur Europäischen Agrarpolitik: Im Paket mit dem „recovery fund“ wird es eine kleine Aufstockung des Agrarbudgets mit Schwerpunkt in der 2. Säule geben. Das entschärft zunächst einmal die Kontroverse um zusätzliche Umschichtungen zu Lasten der ersten Säule (ausführlicher Beitrag in dieser dbk). Erfolgt die Aufstockung auf diesem Wege, sind diese zusätzlichen Umschichtungen logischerweise so nicht mehr notwendig. Dahinter stehen aber die Grundsatzfragen rund um den Green Deal, um die Farm to Fork- und die Biodiversitätsstrategie, mit der die EU-Kommission die europäische Politik mehr oder weniger vollständig umbauen will. Dieses Konzept kommt unübersehbar aus der Zeit vor der Corona- Pandemie und lässt grundlegende Erfahrungen außer Acht. Versorgungssicherheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit und kooperative Ansätze werden ausgeblendet, stattdessen gibt es vermeintlich ökologische Gemeinplätze zur pauschalen Reduktion des Betriebsmitteleinsatzes oder zur Biodiversität.
Chance nutzen: Standards auf einheitliches europäisches Niveau bringen
Abgesehen davon, dass das Hausaufgabenpensum nur mit deutlich stärkerer finanzieller und gesetzgeberischer Unterstützung der Landwirtschaft zu machen ist, droht hier eine verpasste Chance: Mit dem Green Deal könnte man die Standards im Umwelt- und Klimaschutz, im Tierschutz, zur Nachhaltigkeit und in weiten Teilen des Ordnungsrechtes endlich auf ein einheitliches europäisches Niveau bringen. Wenn Deutschland oder Nordwesteuropa bei Standards und Auflagen nicht immer alleine vorneweg laufen müssen, dann kann man hier viel bewegen.