Die Auseinandersetzung um die Europäische Gemeinsame Agrarpolitik ist endlich in der entscheidenden Phase: Die Leitplanken sind gesetzt, jetzt müssen sich Parlament, Ministerrat und Kommission im Trilog zusammenraufen. Hört man der Umweltpolitik und manchen Umweltverbänden zu, dann ist das alles ganz furchtbar, alles geht angeblich weiter so wie bisher, ÜBERHAUPT nichts ändert sich, der Planet ist verloren und Schuld ist ganz allein die Gemeinsame Agrarpolitik. Drama, Baby, Drama!
Mit schlechtem Gewissen schaut man sich danach die (zugegebenermaßen trockenen und komplizierten) Verhandlungstexte an: Umweltmaßnahmen in der 1. Säule, faktische Kürzung der Direktzahlungen, Mindestanteile für Eco Schemes, deutliche Mittelaufstockung für Umweltleistungen, mehr Spielraum für Umschichtungen und vieles mehr (ausführlich dargestellt ab Seite 6 in dieser Ausgabe der dbk). Auch der sonst übliche politische Reflex, sich europäische Einigungen mit Zugeständnissen an nationale Extrawürste zu erkaufen, ist in den Beschlüssen von Parlament und Ministerrat schwach geblieben. Man fragt sich dann: Haben die das nicht gelesen? Offenbar nicht, vielleicht wollten sie es auch gar nicht so genau wissen. Im Fußball nennt man so etwas eine Schwalbe, und dafür gibt es normalerweise eine gelbe Karte.
Keinen Stillstand riskieren
Hinter dieser unangebrachten Fundamentalkritik steckt auch etwas anderes. Die Beschlüsse von Rat und Parlament sind zwar mit großer Zeitverzögerung, aber im geregelten europäischen demokratischen Verfahren zustande gekommen. Hier bilden sich schlichtweg europäische Mehrheiten ab. Wer das nicht akzeptiert oder als Werk finsterer Lobbymächte hinstellt, kann sich eigentlich auch die Kritik an europaskeptischen Populisten sparen, die zwar mit anderer Melodie, aber ins gleiche Horn stoßen. Nicht zu Ende gedacht sind auch die eingängigen und einfältigen Hashtags aus der Kampagnenwelt wie #votethisCAPdown. Einfältig deshalb, weil der Neustart des politischen Prozesses eine Verzögerung von weiteren zwei oder drei Jahren bedeuten würde, in der dann tatsächlicher Stillstand stattfinden würde.
Sachlicher Dialog statt Inszenierung
Schließlich bleiben Zweifel an der Fähigkeit zum sachlichen Dialog, wenn substanzielle Anpassungen und Weiterentwicklungen nicht zur Kenntnis genommen werden. Aber diesen Dialog braucht es, wenn es an die nationale Umsetzung geht. Nach dem Trilog kommt der nationale Strategieplan, in dem entscheidende Weichen gestellt werden müssen: Ausgestaltung der Eco Schemes und der 2. Säule-Maßnahmen, Ausmaß der Umschichtungen, Umverteilung auf die ersten Hektare und so weiter. Wenn auch hier die eingangs beschriebene Inszenierung aufgespielt wird, dürfte eine zeitgerechte vernünftige Umsetzung der GAP schwierig werden.
Landwirtschaft seit längerem im Krisenmodus
Währenddessen läuft der Landwirtschaft aus ganz anderen Gründen die Zeit weg. Der Patient ist schon länger im Krisenmodus, und das nicht erst seit Corona und Afrikanischer Schweinepest. Im langjährigen Vergleich von Erzeugerpreisen auf der einen und Kosten und Auflagen auf der anderen Seite wird die wirtschaftliche Auszehrung unseres Sektors deutlich. Der DBV-Situationsbericht zeigt aktuell eine leichte durchschnittliche Verbesserung nach einem ausgesprochenen Problemjahr, aber in der Langfristperspektive zeigen sich die wahren Treiber des Strukturwandels: Stagnation der (nominalen!) Erzeugerpreise und steigende Kosten in Verbindung mit wachsenden und insbesondere investitionsrelevanten Auflagen. Letzteres ist mit den aktuellen Gesetzgebungsvorhaben schon vorprogrammiert und dürfte sich fortsetzen. Die Spanne der Beispiele reicht von den Nachrüstungspflichten in der TA Luft über die AsWV, über das Aktionsprogramm Insektenschutz und die Tierschutz-Nutztierhaltungs-Verordnung bis hin zur Umsetzung der europäischen politischen Projekte des Green Deal, der Biodiversitätsstrategie und der Farm-to-Fork-Strategie. Die Kritiker der alten und der neuen GAP gerieren sich oft als Anwälte der bäuerlichen Landwirtschaft und der kleinen und mittleren Betriebe. Diesen elementaren und offensichtlichen Zusammenhang mit der Zahl der Betriebsaufgaben wollen sie aber nicht wahrhaben – am sprichwörtlichen Elefanten im Raum wird vorbeigesehen. Dieser offensichtliche Umstand disqualifiziert manche Pauschalkritik an der Agrarpolitik, weil sie ökonomische Grundregeln ausblendet und Ursachen und Wirkungen verwechselt.
Was braucht eine zukünftige Landwirtschaft?
Daraus folgt erstens: Wem ernsthaft an einer vielfältigen Agrarstruktur gelegen ist, muss starke einkommenswirksame Komponenten im GAP-Instrumentarium akzeptieren. Zweitens: Die stärkere Umwelt- und Klimaschutzorientierung muss über wirtschaftliche Anreize für solche Maßnahmen statt nur über das Prinzip Kostenerstattung abgebildet werden. Drittens: Eine stärkere Zielorientierung der Zahlungen entzieht der „klein gegen groß“- Debatte die Grundlage. Insbesondere die Maßnahmen in Richtung Umweltschutz, Artenvielfalt, Klimaschutz und Kohlenstoffbindung werden auf der Fläche erbracht. Die Fläche als Bezugsgröße lässt sich daher nicht ganz aus dem System GAP entfernen. Viertens: Wer den massenhaften Ausstieg der landwirtschaftlichen Betriebe bremsen will, muss auch und vor allem außerhalb der GAP ansetzen.
Über das Gleichgewicht der Kräfte
Hier gibt es zwar keine einfachen Lösungen, aber doch unübersehbaren konkreten Handlungsbedarf bei einigen Punkten. Zuallererst müssen Ordnungsrecht und gesetzliche Auflagen konsequent auf europäische Standards ausgerichtet werden. Geht das nicht, muss der daraus resultierende Nachteil wirtschaftlich ausgeglichen werden. Dieses Prinzip kann die Bundesregierung sofort beim Aktionsprogramm Insektenschutz umsetzen. Vermarktung und Vermarktungsstrukturen sind die nächste Baustelle. Auch die jüngsten Aktionen von Landwirten vor den Lägern des Lebensmitteleinzelhandels zeigen, dass die deutsche Wettbewerbskontrolle im Sektor Lebensmittel gescheitert ist. Die Konzentration im Handel hat stattgefunden, Ernährungsindustrie und Landwirtschaft werden geradezu aktiv daran gehindert, Gegengewichte zu bilden. Reparatur ist dann möglich, wenn dieses Prinzip umgekehrt wird. Die UTP-Richtlinie ist nur ein erster Schritt, der die gröbsten Auswüchse eindämmt. Das Kartellrecht muss es der Erzeugerseite und ihren Vermarktungsorganisationen ermöglichen, sich zusammenzuschließen und das Gleichgewicht der Kräfte wiederherzustellen.