Was belastet Bürger, Verbraucher und Wirtschaft noch mehr als die Corona-Pandemie? Ja, richtig: Das andauernde Herumlavieren bei Entscheidungen über Schutzmaßnahmen, die fehlenden Prioritäten und die mangelnde Konsequenz bei der Umsetzung und last but not least die ausufernde Bedenkenträgerei in Detailfragen, die das Impfen, das Testen und andere wichtige Maßnahmen verzögert, verkompliziert oder verhindert. Immerhin ist das öffentliche und mediale Echo einigermaßen einheitlich: Wenig von dem, was Staat und Behörden angehen, funktioniert wirklich gut, und das übrige zu langsam. Leitartikel und Kommentare stellen die Frage, ob Deutschland überhaupt noch etwas auf die Reihe bekommt.
Bei der Ursachenanalyse, warum das so ist, setzt aber auch bei sonst sehr investigativ und engagiert daherkommenden Berichterstattern das kollektive Wegsehen ein. Der sprichwörtliche Elefant im Raum, über den keiner spricht, hat einen Namen: föderale und administrative Verantwortungsdiffusion. Breit verteilte Kompetenzen produzieren minimale Einzelverantwortung und wiederum maximale Schwerfälligkeit.
Wertvolle Zeit verloren
Eine ähnliche Verantwortungsdiffusion sehen wir im Moment bei den Entscheidungen zur GAP, bei dem sich der Verteilungsgrad der Entscheidungskompetenz auf europäischer, nationaler und auf Ebene der Bundesländer addiert. Die jüngste politische Einigung in der Agrarministerkonferenz von Bund und Ländern hat einige Anläufe gebraucht, die wertvolle Zeit gekostet haben, die nun beim Gesetzgebungsverfahren – das eigentlich bis zur Sommerpause abgeschlossen werden sollte – fehlt. Wenn nun bei der rechtstechnischen Umsetzung immer noch Nachbesserung und Mitsprache seitens des Umweltministeriums eingefordert wird, muss man sich fragen, ob das Interesse an der zeitgerechten Umsetzung der neuen Rahmenbedingungen wirklich an erster Stelle steht. Der immer noch ausstehende Abschluss des europäischen Trilogs macht das Ganze nicht einfacher.
Schmerzhafter Einschnitt
Aber zu den Inhalten der Einigung: Der Kompromiss in der Sache hat einen hohen Preis. Die an eine erweiterte Konditionalität gebundene Basisprämie dürfte sich um rund ein Viertel reduzieren; die Greening-Prämie verschwindet in der bisherigen Form und es bleibt mangels präziser Definition offen, ob das Konzept der Eco-Schemes einen wirtschaftlich sinnvollen Anreiz oder Ersatz für die Landwirte darstellen kann. Über die Umverteilung verlieren einige Regionen dreistellige Millionenbeträge, die aber in anderen Regionen nicht zu Wohlstand führen werden. Auf der einen Seite war klar, dass diese GAP „grüner“ werden und mit wesentlich mehr Bindung der Zahlungen an nicht nur volkswirtschaftliche, sondern zusätzliche ökologische Gemeinwohlleistungen an verbunden sein würde. Auf der anderen Seite sind nun die Umschichtungen für die meisten Betriebe zu einem schmerzhaften Einschnitt geraten. Politische Bekenntnisse, damit die heimische Landwirtschaft weiterhin stützen zu wollen, gab es zwar reichlich. Ernst nehmen kann man das aber nur, wenn die umgeschichteten Mittel auch für die Mehrzahl der Betriebe zugänglich bleiben. Das bedeutet konkret: 1. Eco-Schemes praktikabel und einfach administrierbar auszugestalten, 2. Einen wirtschaftlich und naturschutzfachlich sinnvollen breiten Katalog an Eco-Schemes bereitzustellen, und 3. Die aufgestockte 2. Säule mit auch wirtschaftlich attraktiven (Agrarumwelt-) Maßnahmen zu bestücken – Stichwort Betriebszweig Agrarumweltmaßnahmen. Erfolgt das nicht, gerät die Umsetzung zum schlichten Kahlschlag, zumindest mit massiven Bremsspuren in unserer Agrarstruktur. Deshalb gilt es hier, jetzt zu entscheiden, und zwar ohne zeitraubende Verantwortungsverteilung.
Lösungsansatz Koordinationszentrale
Ein ganz anderes Thema muss hier auch angesprochen werden: Landwirtschaft und Lebensmittelhandel haben sich vereinbart, die nicht erst seit dem Herbst 2020 strittigen Themen unter dem Dach einer gemeinsamen Koordinationszentrale anzugehen und zu lösen. Träger dieses Projektes sind die Spitzenverbände DBV, DRV und HDE, die der Überzeugung sind, dass Gespräche zwischen einzelnen Unternehmen des LEH und einzelnen, zum Teil uneinigen landwirtschaftlichen Gruppen die Probleme nicht lösen können, weil die für konkrete Lösungen erforderliche Verbindlichkeit und Legitimation dort nicht gegeben ist. Der Beobachter fragt sich in solchen Situationen, warum ausgerechnet bei denjenigen Gruppen, die sich sonst am stärksten vom Bauernverband distanzieren, der Ruf nach einer starken einheitlichen Stimme der Landwirtschaft am lautesten klingt. Wie auch immer, diesen Widerspruch müssen wir hier nicht auflösen.
Nicht ohne den Handel
Aus Sicht des DBV ist es vor allem wichtig, dieses Projekt nicht losgelöst von den schon mit dem Lebensmittelhandel etablierten gemeinsamen Plattformen wie QS oder der Initiative Tierwohl umzusetzen. Man kann die Rolle des Handels sicher unterschiedlich beurteilen, aber ihn für alle Probleme der Landwirtschaft verantwortlich zu machen, ist vorsichtig ausgedrückt zu kurz gegriffen und allenfalls mittelschlau. Umgekehrt wird aber ein Schuh daraus: Man kann die Probleme der Landwirtschaft nicht lösen, ohne den Handel am Tisch zu haben. Diese Art der Verhandlung ist definitiv anstrengend und kontrovers, aber alternativlos. Wertschöpfung für hohe Standards definiert sich über Märkte und muss an der Schnittstelle zum Verbraucher abgebildet und umgesetzt werden. Die Abstimmungen über Struktur und Aufgabenkatalog des Projektes Koordinationszentrale laufen noch, werden aber in Kürze abgeschlossen sein.
Absichtserklärungen und tatsächliche Umsetzung
Den hinter der Koordinationszentrale stehenden Gedanken hat der Handelsverband auch mit seinem jüngst vorgelegten Verhaltenskodex abgebildet. Dort finden sich Bekenntnisse zur heimischen Landwirtschaft, zur angemessenen Vergütung höherer Standards, zu Handelspraktiken und zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Das ist ein gutes Signal, das auch die landwirtschaftliche Seite begrüßen und unterstützen muss. Solche Absichtserklärungen müssen sich aber auch am eigenen Anspruch und an der tatsächlichen Umsetzung im Tagesgeschäft messen lassen. Gelegenheiten dazu gibt es in den kommenden Wochen mehrfach – wir werden darauf zurückkommen.