Autor
Kruesken_Bernhard_-_Quelle_DBV-Breloer.jpg
Bernhard Krüsken
Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes
Foto: DBV/Breloer

Die wirtschaftlichen und strukturellen Verwüstungen durch die Corona-Pandemie haben auch die Landwirtschaft massiv getroffen, und wir werden noch einige Zeit vollauf damit beschäftigt sein, die Folgen zu bewältigen. Trotzdem müssen wir, nicht zuletzt, weil mit der Möglichkeit zur Impfung eine Rückkehr zur Normalität in Sichtweite ist, auf die Zeit danach schauen. Nach Corona kommt der Wahlkampf in die heiße Phase - und unsere Branche mit unseren Themen wird wieder im Mittelpunkt stehen.

Virtuell in die Grüne Woche

Deshalb nutzt der DBV den Januar für seinen agrarpolitischen Jahresauftakt. Anstelle der klassischen analogen Grünen Woche tritt die digitale IGW. Kurz vor deren Beginn starten wir mit einer virtuellen Runde mit den Spitzen der Bundestagsfraktionen, um die agrar- und ernährungspolitischen Vorhaben der einzelnen Parteien für die kommende Legislaturperiode vorzustellen und natürlich auch kontrovers zu diskutieren. Auch der Wahlkampfmodus macht sich im gesetzgeberischen Betrieb schon etwas bemerkbar, darauf lassen jedenfalls einige Entscheidungen schließen: Ein wirklicher Tierwohlvorrang im Baurecht ist noch blockiert, die TA Luft wird durchgewunken, Licht und Schatten beim Jahressteuergesetz und bei der EEG-Novellierung. Unabhängig davon werden wichtige Weichenstellungen für die kommenden Jahre absehbar im Schatten des Wahlkampfs stehen: der nationale GAP-Strategieplan, der Insektenschutz und damit verbunden die Entscheidung zwischen kooperativer oder ordnungsrechtlicher Gangart im Naturschutz und die Zukunft der Tierhaltung.

Perspektiven schaffen Zukunft

Es geht natürlich auch um die Grundsatzfrage, wie die Weiterentwicklung oder „Transformation“ der Landwirtschaft gestaltet werden kann, damit man nicht am Ende nur mit wenig praxistauglichen Aktivisten, Park Rangern, Greenkeepern, Wolfsbeauftragten, Museumsbauernhöfen und einigen wenigen, von externen Investoren getragenen Unternehmen, die sich auf extensive Landbewirtschaftung spezialisiert haben, aber ohne Landwirte dasteht. In diesen Diskussionen müssen wir darauf drängen, die vielen Lippenbekenntnisse der Parteien zur heimischen Landwirtschaft in vielfältigen und bäuerlichen Strukturen auch in konkrete Gesetzgebung umzusetzen.

Kartellrecht gescheitert?

Es gehört zum Selbstverständnis der Landwirtschaft, mit wechselhaften Märkten und Nachfragetrends wesentlich besser umgehen zu können als mit den wirtschaftlichen Folgen von gesetzlich verordneten Auflagen und Beschränkungen. In einem Punkt setzen Defizite in Gesetzgebung und Vollzug dem Funktionieren von Wertschöpfungsketten enge Grenzen. Das Kartellrecht ist in der Lebensmittelvermarktung insofern gescheitert, als dass ein erheblicher struktureller Kollateralschaden für die Land- und Ernährungswirtschaft eingetreten ist. Der bekannten ungebremst anhaltenden Konzentration von Nachfragemacht steht eine kartellrechtliche Praxis gegenüber, die vorrangig die Lieferantenseite im Blick hat und maßregelt. Die Folge ist die allseits beklagte Spirale aus Preisdrückerei auf der Erzeugerseite und Dauerniedrigpreisorientierung auf der Verbraucherseite. Die Ausrichtung der Verbraucherkommunikation auf niedrige Preise ist Ausdruck von Ideenlosigkeit und zerstört Wertschöpfung und Nachhaltigkeit gleichermaßen.

Von wirkungsvoll bis wirkungslos

Diese Situation hat verständlicherweise die Landwirte umgetrieben, die im Dezember die Blockaden von Lägern des Lebensmitteleinzelhandels organisiert haben. Sie haben einen wunden Punkt in der Logistik getroffen, es gab auf einmal angebliche Gesprächsbereitschaft beim Handel und die bekannten Angebote, auch finanziell mehr für die heimische Landwirtschaft zu tun. Das Ganze hatte leider mehrere Schönheitsfehler: Erst haben sich diejenigen, die mit den Vertretern des Handels Gespräche geführt haben, mit unverbindlichen Absichtsbekundungen nach Hause schicken lassen. Dann waren die Absichtsbekundungen des Handels wenige Tage später vergessen: Die symbolischen Preiserhöhungen werden durch parallel gefahrene Preisaktionen wieder konterkariert oder fanden den Weg zum Landwirt nicht, die nächste Verhandlungsrunde für Butter wird mit prozentual zweistelligen Preisabschlags-Forderungen des Handels eröffnet. Warum hat dieser anfangs so wirkungsvolle Ansatz nicht funktioniert? Weil er nur einen Teil des Problems adressiert hat.

Brauchen grundsätzliche Änderungen der Zusammenarbeit von Landwirtschaft und Handel

Einzelne Preiserhöhungszusagen im Tagesgeschäft tragen nicht, wenn sie nicht mit grundsätzlichen Änderungen in der Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Handel flankiert werden. Dazu zählt,

  • höhere Qualitäts- und Erzeugungsstandards verlässlich und voll zu bezahlen. Landwirte sind selbstverständlich bereit, in höhere Standards und Anforderungen ihrer Abnehmer zu investieren. Voraussetzung ist eine volle Honorierung und ein fairer Umgang mit höheren Erzeugungskosten. Beispiele dafür sind höhere Tierwohl- und Nachhaltigkeitsanforderungen, besondere Erzeugungsbedingungen wie „ohne Gentechnik“ oder vergleichbare Zertifizierungen und besondere Anforderungen an Pflanzenschutzanwendung oder -einsatz.
  • langfristiger und verlässlicher Liefer- und Vertragsbeziehungen aufzubauen. Viele Anforderungen zur Nachhaltigkeit und zum Tierwohl sind investitionsrelevant. Allein deshalb müssen die Marktpartner zu langfristigen Vereinbarungen bereit sein.
  • die heimische Landwirtschaft nicht nur in der Einkaufspolitik zu fördern, sondern auch über Kennzeichnung von Herkunft und Standards zu unterstützen. Praktisch realisieren kann man das über einen Deutschland-Bonus, der natürlich über die Vermarktungsunternehmen an die Landwirtschaft vollständig weitergereicht werden muss.
  • Bezahlsysteme für vom Handel nachgefragte Nachhaltigkeitsleistungen für mehr Biodiversität, Gewässerschutz, Tierwohl und Klimaschutz zu etablieren. Die Initiative Tierwohl hat es bereits vorexerziert.

Kartellrecht muss Gleichgewicht in der Kette herstellen

Ein Verhaltenskodex oder Absichtserklärungen können die Probleme aber nicht allein lösen. Auch hier müssen gesetzliche und politische Rahmenbedingungen gesetzt werden. Der wichtigste Schritt besteht darin, das Gleichgewicht der Marktkräfte herzustellen. Das Kartellrecht muss stärker auf den Schutz von Erzeugern und Zulieferern ausgerichtet werden. Über die bestehenden kartellrechtlichen Möglichkeiten hinaus muss es den von Landwirten getragenen Verarbeitungs- und Vermarktungsorganisationen ermöglicht werden, sich für Verhandlungen auf Augenhöhe zusammenzuschließen. Das Wettbewerbsrecht darf nicht länger Landwirte und deren Vermarkter daran hindern, Gegengewichte zum Handel zu bilden. Um Transparenz über hohe Standards herzustellen und bewusste Verbraucherentscheidungen zu ermöglichen, brauchen wir eine verpflichtende oder flächendeckend umgesetzte Haltungsform- und Herkunftskennzeichnung auch für Rohstoffe und für verarbeitete Produkte. Schließlich sollten sämtliche Regeln gegen unlautere Handelspraktiken umgesetzt werden und auch die so genannte „graue Liste“ einschließen. Der Schutz vor unlauteren Handelspraktiken muss unabhängig von der Größe der jeweiligen Akteure für alle gelten. Mit so einem Paket von Rahmenbedingungen könnte die Politik wirklich helfen – das wäre mehr als ein guter Einstieg in den Wahlkampf.