… dann muss sich alles ändern!“ Dieses Schlüsselzitat aus einem Klassiker der italienischen Literatur (der in Zeiten von politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen spielt) beschreibt punktgenau die Lage, in der sich Europa vor allem in puncto Sicherheits-, Industrie- und Wirtschaftspolitik gerade befindet.
Die Nachrichten der vergangenen Wochen müssen an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Mehr als je zuvor ist deutlich geworden, dass Europa zunehmend alleine dasteht und die offensichtlichen Lücken bei Verteidigung, Infrastruktur, Energieversorgung und vielen Technologiefeldern aus eigener Kraft füllen muss. Die Globalisierungsdividende ist aufgebraucht; der Nachholbedarf ist erheblich und in einigen Bereichen möglicherweise nicht mehr behebbar. Man darf spekulieren, welchen Einfluss die faktische Aufkündigung der westlichen Wertegemeinschaft durch die US-Regierung auf das Ergebnis der Bundestagswahl gehabt hätte, wenn die jüngsten Eskalationen vorher stattgefunden hätten. Die gute Nachricht zur Bundestagswahl: Machtwechsel findet statt und es hat für eine Zweier-Koalition gereicht. Die schlechte: Es hat dafür nur knapp gereicht, so dass ein notwendiger echter politischer Kurswechsel schon wieder fraglich ist. Zugleich lauern die Ränder des politischen Spektrums darauf, dass die Probleme von der sich abzeichnenden nur halbgroßen Koalition nicht gelöst werden, um dann spätestens 2029 durchzustarten.
„More of the same“?
Unternehmer, Entscheider auf sämtlichen Ebenen und nicht zuletzt Steuerzahler sind mit der klaren Überzeugung in die Bundestagswahl gegangen, dass vor allem in den Politikfeldern Energiekosten, Wettbewerbsfähigkeit, Bürokratieabbau und Regulierung, Arbeit und Soziales ein echter Kurswechsel stattfinden muss. Wird das wegen einer falsch verstandenen Kompromisslogik oder wegen gedanklicher Schranken aus den vergangenen zwei Jahrzehnten blockiert, werden nicht nur die Probleme weiter wachsen, sondern auch die politischen und gesellschaftlichen Ränder. Hier haben die angehenden Koalitionäre eine enorme Verantwortung; es bleibt zu hoffen, dass verstanden wird, welche langfristig verheerenden Folgen Taktieren oder Festhalten an gescheiterten Erzählungen aus der Ampel-Zeit hätte. Eigentlich sollten die Erfahrungen aus den beiden zurückliegenden Legislaturperioden klargemacht haben, dass die Herausforderungen kaum gelöst werden können, wenn ohne strukturelle Reformen nur mehr Geld in unveränderte, überbürokratische und ineffiziente Systeme gepumpt wird. Nun haben sich die Koalitionäre mit dem Vorhaben einer beispiellos hohen Neuverschuldung und mit den kurz vor Redaktionsschluss veröffentlichten Sondierungsergebnissen aber offenbar auf ein „more of the same“ verständigt. Kreditwirtschaftliche Grundkenntnisse helfen bei der Bewertung: Wenn Deutschland das derzeitige Rating behält, belaufen sich die zusätzlichen Zinslasten auf einen kleinen zweistelligen Milliardenbetrag – ein Mehrfaches des Agrarbudgets, das damit fast zur vernachlässigbaren Größe wird. Kein Zweifel: Bei Sicherheit und Verteidigung darf es keine Einschränkungen geben. Die Einigung der Koalitionäre läuft aber darauf hinaus, dass auch auf anderen Politikfeldern nach bisherigen Rezepten verfahren wird: ob der Bürokratieabbau ohne ersatzlose Streichung von Gesetzen, Verordnungen und Erlassen steckenbleibt, ob doch keine Einschnitte bei Ämtern, Behörden und öffentlicher Beschäftigung stattfinden, ob Infrastrukturprojekte ohne Rückbau von Genehmigungsverfahren und Klagerechten weiterhin nicht vorankommen, ob die staatliche Mittelverwendung ineffizient bleibt oder ob das unselige staatliche Mikromanagement von Wirtschaft, Unternehmen und Märkten weitergehen wird.
Lichtblick Agrardiesel
Ein Lichtblick speziell für die Landwirtschaft ist die Wiedereinführung der Agrardieselbesteuerung, mit der ein fiskalischer Übergriff der Ampelkoalition zu Lasten der Landwirtschaft wieder rückgängig gemacht wird. Das ist definitiv ein wichtiger Schritt in Richtung europäischer Wettbewerbsfähigkeit und ein Zeichen dafür, dass man diesen Punkt verstanden hat. Aber kein Licht ohne Schatten: Der Kurs in Sachen Mindestlohn dürfte den Exodus der Obst-, Gemüse- und Weinerzeugung aus Deutschland weiter anheizen; ohne eine gesonderte Regelung für Saisonarbeit oder ein Branchenmindestlohn- Konzept geht diese Verabredung in die diametral entgegengesetzte Richtung. Unter dem Strich bleibt: Ohne Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit und ohne funktionierende Wirtschaft werden die neuen Lasten nicht bewältigt werden können – und schlimmer, sie werden der Republik in absehbarer Zukunft um die Ohren fliegen. Auf diese Fragen muss es eine überzeugende Antwort der zukünftigen Regierungskoalition geben, damit der notwendige Politikwechsel nicht zu einem „weiter so“ gerät, mit Konzepten, die sich schon als nicht erfolgreich erwiesen haben.
Trotz allem: Landwirtschaft muss gestärkt werden
Wo bleibt – abgesehen vom Agrardiesel – in diesem Konzert die Agrarpolitik? Zuallererst: Eine stabile europäische Landwirtschaft, die Versorgungssicherheit bei Lebensmitteln und Rohstoffen gewährleistet, ist unverzichtbarer Teil der Absicherung und Krisenvorsorge. Der Rohstoff Weizen ist in geo- und sicherheitspolitischer Hinsicht sozusagen der kleine Bruder von Erdgas und LNG. Es gilt, Landwirtschaft zu stärken und deren Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Auch die Frage der zukünftigen Finanzierung der GAP gehört hierher und steht an; aus der EUKommission werden Vorschläge kolportiert, die eine Auflösung der Budgets für einzelne Politikbereiche, darunter auch die GAP, nahelegen. Nebenbei bemerkt: Das würde die von Agrarkommissar Hansen vorgestellten Pläne zur Stärkung der europäischen Landwirtschaft ernsthaft in Frage stellen. Stichwort Infrastruktur: Das ist vorrangig ein Thema der ländlichen Räume. Hier ist der Nachholbedarf am größten, hier wird auch die Qualität der städtischen Infrastruktur geprägt oder beeinträchtigt. Soll die Modernisierung oder Reparatur unserer Infrastruktur gelingen, muss ein signifikanter Teil der neuen Mittel in die ländlichen Räume.
Und wenn frühere politische Zusagen nicht mehr realisiert werden können?
Trotz der bemerkenswert unbekümmerten Ausweitung öffentlicher Schulden ist es fraglich, ob zur Finanzierung der zahlreichen und so genannten gesellschaftlichen Forderungen noch die notwendigen Mittel bereitgestellt und politische Zusagen realisiert werden können (man denke dabei an die Vorschläge der Zukunftskommission Landwirtschaft oder des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung). Sollte das nicht möglich sein, gibt es nur eine Möglichkeit: Deregulierung, Rückbau bürokratischer Lasten und Neujustierung rechtlicher Vorgaben auf europäischem Niveau, in der Tierhaltung, im Bau- und Genehmigungsrecht, im Naturschutzrecht, in der Besteuerung und beim Pflanzenschutz. Für die Agrarpolitik gilt das Gleiche wie für die allgemeine Wirtschafts- und Standortpolitik: Ohne strukturelle Reformen, ohne echten Bürokratieabbau und ohne Ausstieg aus gesetzgeberischem Mikromanagement wird die fiskalische Geldschwemme nennenswerte Teile ihrer beabsichtigten Wirkung verfehlen. Wenn es bleiben soll, wie es ist, dann müssen wir nicht alles verändern, aber deutlich mehr, als in den Sondierungsgesprächen vorgesehen.