... und legten der Kommission den Vorschlag zum Nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (SUR) gewissermaßen als vorgezogenes Nikolaus-Geschenk zur Überarbeitung wieder vor die Tür. Dies ist das Ergebnis einer hervorragenden Mannschaftsleistung unserer Verbändefamilie. Dennoch stehen nach wie vor einige schwierige Aufgaben vor dem Berufsstand, Ausruhen fällt daher leider aus.
Massiver Endspurt auf allen Ebenen
Aber der Reihe nach. In den vergangenen Wochen fanden auf allen Ebenen sehr intensive Gespräche statt. Nachdem in den Monaten zuvor sehr viel Wert auf fachliche und umfassende Überzeugungsarbeit gelegt wurde, war klar, dass kurz vor der Abstimmung nun auf drastische Art und Weise deutlich gemacht werden musste, was die geplanten Regelungen für die Landwirtschaft bedeuten. Sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene fluteten daher eine Vielzahl von Bildern und kurzen Videoclips die sozialen Medien und vermittelten einen lebhaften Eindruck von der Stimmung in der Landwirtschaft. Auch der Brandbrief des DBV-Präsidenten an alle deutschen EU-Abgeordneten war ein starkes Signal, dass hier die Zukunft vieler Betriebe auf dem Spiel stand – insbesondere in den sogenannten sensiblen Gebieten.
Überraschung im Parlament
Leider stand die Verhinderung dieser Gebietskulissen in vielen anderen Mitgliedsstaaten wesentlich weniger im Fokus der Bemühungen. Die Aussichten waren daher denkbar düster. Noch am Abend vor der Abstimmung glaubte niemand an einen Erfolg, bestenfalls rechnete man mit einer Schadensbegrenzung in Bezug auf den Trilog. Was dann jedoch in jener denkwürdigen Sitzung geschah, war eine umso größere Überraschung. Nicht nur viele kleine, vergleichsweise kosmetische Änderungsanträge zum Bericht von Sarah Wiener bekamen Mehrheiten. Sondern auch Anträge, die den Inhalt des Berichtes derart veränderten, dass nach einer kurzen Sitzungspause sogar dessen Befürworter nicht mehr zustimmen wollten oder konnten. Nachdem dann zudem ein Antrag zur Rücküberweisung in den Umweltausschuss mit großer Mehrheit abgelehnt wurde, war die SUR vorerst im Parlament gescheitert.
Die SUR ist (vorerst) tot, das Thema Reduktion nicht
Was bedeutet dieses Ergebnis nun für die Zukunft? Aufgrund der Neuwahlen zum Europaparlament ist es nicht zu erwarten, dass die SUR in einer überarbeiteten Form zeitnah wieder aufersteht. Auf nationaler Ebene hingegen wird das Bundeslandwirtschaftsministerium mit Sicherheit seine Anstrengungen verstärken, nun einen eigenen Plan zur drastischen Reduktion beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln vorzulegen. Nachdem der Ansatz der Gebietskulissen als vorerst gescheitert gelten darf, ist davon auszugehen, dass nun wieder alte Konzepte aus der Schublade geholt werden. Ein Beispiel hierfür ist der Vorschlag, dass der Landwirt beim Einsatz bestimmter Mittel einen festgelegten Anteil an Flächen gänzlich ohne chemisch-synthetischen Pflanzenschutz bewirtschaften soll. Auf diesen Flächen soll sich die Biodiversität dann entfalten können. Die Diskussionen dürften hart und spannend werden.
Kommission zurück aus der Traumwelt
Bei der Kommission immerhin scheint inzwischen angekommen zu sein, dass man sich nicht vollständig aus der Realität verabschieden kann. Dies blitzte schon auf, als sie mit zunehmendem Pragmatismus auf die massive Kritik an ihrem Entwurf reagierte. Und auch die aktuell gezeigte Bereitschaft, ihren eigenen Behörden (EFSA und ECHSA) zu glauben und einen so unpopulären Wirkstoff wie Glyphosat erneut zuzulassen, gibt Anlass zur Hoffnung. Entscheidend wird sein, wie sowohl die neue Kommission als auch das neue Parlament ab Mitte 2024 aussehen wird. Aber: Pflanzenschutzmittel, Biodiversität, Artenschwund und ähnliche Themen werden auch zukünftig in den Medien präsent sein und auch ohne einen Frans Timmermanns wird sich die Kommission diesen Themen weiterhin widmen. Entscheidend ist: Wenn sie das tut, sollten die Belange der Landwirtschaft von Beginn an eine Rolle spielen. Dafür werden wir uns als DBV in Brüssel weiterhin intensiv einsetzen.
Kipppunkt erreicht?
In den zukünftigen Diskussionen hilft eine wichtige Erkenntnis aus den zahlreichen Gesprächen: Auch bei den Abgeordneten, die dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln kritisch gegenüberstehen, scheint ein Punkt erreicht zu sein, an dem sie nicht mehr bereit sind, ideologiegetriebene Träume zu unterstützen. Gerade auch bei vielen Politikern auf Bundes-, Landes- und Kreisebene ist es uns gelungen, ein Verständnis für komplizierte Zusammenhänge zu erzeugen und die realen Konsequenzen begreifbar zu machen. Die daraus entstandene Bereitschaft, sowohl über das Risiko als auch über die Notwendigkeit von Pflanzenschutz wieder sachlich zu diskutieren, sollte der Berufsstand als Chance ergreifen. Dazu gehört auch, jetzt nicht den Eindruck zu erwecken, es gäbe einen Weg zurück in „die gute alte Zeit“. Dies wäre nur eine unnötige Steilvorlage für die ewigen Kritiker.
Arbeitsauftrag: praktikable Wege bei der PSM-Reduktion vermitteln
Es gilt nun also, die kommenden Debatten selbstbewusst zu führen, gleichzeitig aber auch Angebote zu machen, wie praktikable Reduktionspfade aus der Sicht des Berufsstandes aussehen können. Die Wege, die in Niedersachsen und Baden-Württemberg bereits beschritten werden, sind gute Blaupausen, die wir nutzen sollten, um die Vorteile kooperativer Lösungen noch viel deutlicher zu machen, als uns dies bisher gelungen ist. Und auch die neuen technischen Möglichkeiten müssen verstärkt in der Breite angewendet werden. Gelingt uns dies, können wir die nächsten Spieltage zuversichtlich angehen.
PS
Aufmerksame Leser erinnern sich vielleicht noch an meinen ersten Beitrag zur SUR aus dem Sommer 2022. Er trug den Titel „Auf der Suche nach dem Passierschein A 38“ und beschrieb den zukünftigen bürokratischen Wahnsinn im Pflanzenschutz bildhaft. Ich erlaube mir, gewissermaßen zum vorläufigen Abschluss der Akte SUR, noch einmal auf den von mir zitierten Film „Asterix erobert Rom“ zurückzukommen. In diesem gelingt es Asterix & Obelix, das besagte Papier zu ergattern, den Irrsinn als solchen zu entlarven und nach einigen weiteren Abenteuern schließlich Rom zu erobern. Lassen Sie uns das als Vorbild nehmen und wer weiß, vielleicht erobern wir am Ende zwar nicht Rom, aber wenigstens Brüssel. In diesem Sinne, Ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch.