Autor
Peter Hoffmann und Franziska Schmieg
Peter Hoffmann ist Vorsitzender des DBV-Fachausschusses Agrarstruktur- und Regionalpolitik und Präsident des Bauernverbandes Saar. Franziska Schmieg ist Geschäftsführerin des DBV-Fachausschusses Agrarstruktur und Regionalpolitik.

Jeder soll überall in Deutschland gut leben und wirtschaften können. Darin besteht Einigkeit. Fakt ist jedoch, dass die politische Debatte und Maßnahmen zur Stärkung der ländlichen Räume und zur Gestaltung der Transformation bei den Menschen häufig nicht ankommen. Woran liegt das? Spätestens die Ergebnisse der jüngsten Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben gezeigt, dass sich viele Menschen in ländlichen Räumen zunehmend abgehängt fühlen und ihre Erwartungen an staatliches Handeln nicht angemessen berücksichtigt werden. Laut einer repräsentativen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen haben in Sachsen 49 Prozent der Landwirte oder „im landwirtschaftlichen, ländlichen Bereich Tätigen“ die AfD gewählt, in Thüringen waren es 40 Prozent. Fragt man Berufskollegen nach den Gründen, ist es nicht die Überzeugung, sondern der Protest, der zum Kreuz bei der AfD führt. „Es fehlt eine echte Zukunftsperspektive. Was will man in Deutschland? Eine rein ökologische Landwirtschaft? Eine zukunftsfähige? Oder überhaupt noch eine Landwirtschaft?“ So beschreibt Jana Gäbert, Leiterin der Agrargenossenschaft Trebbin mit 4.000 Hektar in Brandenburg, den Frust des Berufsstandes. Die Regulierungswut der Politik, die bürokratischen Hürden und die fehlende Akzeptanz betreffen nicht nur landwirtschaftliche Themen. Das Heizungsgesetz, das 49-Euro-Ticket oder die umstrittene Krankenhausreform sind weitere Beispiele, die die Politikunzufriedenheit der Landbevölkerung weiter steigern.

Vor allem Ankündigungspolitik – zu wenig Umsetzung
Es wirkt wie ein Déjà-vu: Auch nach den Landtagswahlen im Frühjahr und Herbst 2016 gab es große Unzufriedenheit vieler Menschen in den ländlichen Räumen. Die Berliner Politik initiierte daraufhin im Jahr 2017 den Sachverständigenrat „Ländliche Entwicklung“ beim Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL), die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ und 2019 ein Maßnahmenpaket zur Stärkung der ländlichen Räume. Wichtige Punkte wie die Stärkung der Gemeinschaftsaufgabe (GAK) mit einem Mehrbetrag von 50 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr, der verstärkte Ausbau von Glasfaser und Mobilfunk seitens des Bundes in unternehmensseitig unwirtschaftlichen Gebieten sowie ein leistungsfähiges öffentliches Mobilitätsangebot nicht nur entlang der Hauptachsen waren Teil des Maßnahmenpakets. Gemessen an den Versprechen fallen die Ergebnisse nach fünf Jahren jedoch eher mager aus. Auch jetzt werden wieder Positionspapiere zu Deutschlands ländlichen Räumen veröffentlicht und Kongresse zum Thema „Ländliche Räume als Grundpfeiler gleichwertiger Lebensverhältnisse“ veranstaltet, obwohl das Erkenntnisproblem bereits vor Jahren gelöst wurde. Umso deutlicher wird: Es hapert an der Umsetzung und der Eindruck verfestigt sich, dass der politische Wille dazu fehlt.

Mythos „Abgehängtsein“ verfängt nicht
Das Bild von den „abgehängten ländlichen Räumen“ spiegelt sich häufig in der öffentlichen Meinung wider. Die Vorstellung ist einfach: In ländlichen Räumen herrscht Stillstand, während die Städte weiterwachsen und sich transformieren. Doch dieses Bild stimmt nicht! Es geht nicht darum, dass sich ländliche Regionen und Städte unterscheiden – das tun sie zweifellos, und das ist auch gut so. Es geht um die Frage, ob regionale Unterschiede zunehmen und ob ländliche Regionen allmählich den Anschluss verlieren (vgl. Artikel Gleichwertigkeitsbericht in dieser dbk). Ein differenzierter Blick auf strukturschwache Regionen und die 276 von 400 Kreisen, die als ländlich im Vergleich zu den Großstädten und dem verdichteten Umland eingestuft werden, zeigt, dass die regionalen Disparitäten zumeist stabil geblieben sind oder sich sogar zugunsten der ländlichen Räume entwickelt haben. Dennoch fokussiert sich die Debatte in Deutschland – gerade aufgrund der Wahlerfolge der AfD – sehr stark auf das Gefühl des „Abgehängtseins“ in Ostdeutschland und insbesondere in den ländlichen Räumen. Trotz des wirtschaftlichen Aufholprozesses vieler ländlicher Regionen zeigt sich nur eine Minderheit zufrieden mit der wirtschaftlichen Entwicklung.

Transformation muss die Menschen mitnehmen
Es ist ein offenes Geheimnis: Damit Wandel gelingt, hilft es, Veränderungen zu erklären, Strategien transparent zu machen und Mitgestaltungsmöglichkeiten zu schaffen. Ein Beispiel ist die Weiterentwicklung der Tierhaltung in Deutschland. Sie leistet einen wesentlichen Beitrag zur Wirtschaftskraft und Wertschöpfung in ländlichen Räumen. Nicht nur die Hälfte der Erlöse der deutschen Landwirtschaft stammt aus der Nutztierhaltung, sie schafft auch Arbeitsplätze und Wertschöpfung in den vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereichen. Die Weiterentwicklung der Tierhaltung ist gesellschaftlicher Konsens und wurde mit den Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung erarbeitet. Doch auch hier hapert es seitens der Bundesregierung an der Umsetzung der Tierhaltungskennzeichnung, beim Bundesprogramm Umbau der Tierhaltung und beim Immissionsschutz. Die Folgen: Den Tierhaltern fehlen die Perspektiven und die Planungssicherheit, so dass sie nicht investieren.

Energiewende als Jahrhundertchance für die ländlichen Räume
Die Transformation des Energiesystems bietet große Wertschöpfungspotenziale für die wirtschaftliche Entwicklung ländlicher Räume. Denn der Ausbau von Windenergie- und Photovoltaikanlagen sowie die Ansiedlung neuer energieintensiver Unternehmen finden vor allem dort statt. Um die gesellschaftliche Akzeptanz für den Ausbau erneuerbarer Energien in ländlichen Räumen zu stärken, muss die finanzielle Beteiligung von Kommunen sowie Bürgerinnen und Bürgern an der Wertschöpfung und die kommunale Steuerungsfähigkeit bei der Standortplanung erhalten bleiben. Der Ausbau und die Modernisierung der Stromnetze, die Verknüpfung des Stromsektors mit den Sektoren Wärme, Verkehr und Industrie sowie die Verbesserung der Speichermöglichkeiten sind dabei zentral und müssen weiter vorangetrieben werden. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, dass Biogas und Bioenergie im zukünftigen Energiesystem eine bedeutende Rolle spielen.

Worauf kommt es an?
Die Politik darf nicht den Fehler machen, unliebsame Wahlergebnisse so zu deuten, als hätten die Menschen „falsch“ gewählt, oder sie in ländlichen Räumen in die rechte Ecke zu stellen. Es braucht keine sogenannten staatlichen „Demokratieförderprojekte“. Gesellschaftlicher Zusammenhalt, Gemeinschaft und Geselligkeit sind in ländlichen Räumen traditionell stark verankert. Stattdessen brauchen wir eine vernünftige Sachpolitik für die Menschen in den ländlichen Räumen. Dabei geht es um die gezielte Förderung der Daseinsvorsorge – flächendeckende Breitbandversorgung, gute Verkehrsanbindung und Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur –, die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit des Agrarstandorts Deutschland und die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Es geht darum, die Menschen in den ländlichen Räumen mitzunehmen. Aktuelle Ansatzpunkte, um eine gute und nachhaltige Politik für die ländlichen Räume zu machen, gibt es viele: das Jahressteuergesetz 2024, die Novelle des Baugesetzbuches und der Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Politik muss endlich liefern, statt sich im Klein-Klein zu verheddern. Die landwirtschaftlichen Betriebe, der vor- und nachgelagerte Bereich sowie die Handwerksbetriebe und KMU könnten als lokal gut verankerte Unternehmen eine besondere Rolle einnehmen, die Transformation vorantreiben und die Meinungsbildung positiv mitgestalten. Denn gerade im erlebten Umfeld liegt der Schlüssel, um Innovationen zu treiben, Positivnachrichten wahrzunehmen und Erfolge gebührend zu feiern. Dafür muss die Politik Perspektiven schaffen, dann entstehen Vertrauen und Investitionen.