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Joachim Rukwied
Präsident des Deutschen Bauernverbandes
Foto: Breloer/DBV

Das Jahr 2022 war geprägt vom Angriffskrieg Russlands. Von Beginn an stand unser Berufsstand an der Seite der Ukraine. Es ist bedrückend, wenn Landwirtinnen und Landwirte von ihren Erfahrungen aus dem Kriegsgebiet berichten. Dass dieser Krieg nach zehn Monaten Leid noch immer nicht beendet wurde, ist schlichtweg eine Katastrophe. Deshalb tragen wir die Sanktionen gegen Putins Russland mit – auch wenn sie für uns mit Einschränkungen und Herausforderungen verbunden sind. Dass sich hierzulande eine sinkende Bereitschaft abzeichnet, demokratische Entscheidungen mitzutragen, bereitet mir Sorgen. Gerade in unruhigen und mit Unsicherheit behafteten Zeiten gilt es, unsere Demokratie zu stärken. Dafür bedarf es eines starken Zusammenhalts und einer klaren Abgrenzung gegenüber jeglicher Radikalisierung. Zugleich muss Regierungspolitik von Pragmatismus und Augenmaß geprägt sein.

Versorgungssicherheit ist alles andere als selbstverständlich
Die Zeitenwende, die mit dem Ukrainekrieg eingetreten ist, hat einen weiteren Aspekt offenbart, den viele zuvor kaum noch im Blick hatten: die Ernährungssicherung. Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln galt lange Zeit als selbstverständlich. Diese Zeiten sind vorüber. So ist es richtig und wichtig, dass wir deutschen Bauern durch die politische Entscheidung, die EU-Regeln zu Flächenstilllegung und Fruchtwechsel auszusetzen, einen Beitrag zur Stabilisierung der fragilen Welternährungslage leisten können. Die Ernährung zu sichern ist Teil unseres Selbstverständnisses als Bauern. Ebenso selbstverständlich ist dabei für uns, dass wir weiterhin Klima- und Naturschutzmaßnahmen auf unseren Flächen umsetzen. Klima schützen, Artenvielfalt erhalten und die Ernährung sichern – das sind für uns Landwirtinnen und Landwirte keine Gegensätze. Wir bringen alle drei Aufgaben unter einen Hut.

Landwirte sind Partner auf dem Weg zum Zeitalter der erneuerbaren Energien
Das vergangene Jahr hat auch gezeigt, dass die Versorgungssicherheit mit Energie alles andere als selbstverständlich ist. Jetzt ist deutlich: Die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen hat uns zwar lange Zeit niedrige Preise beschert, belastet uns jedoch jetzt in der Krise besonders. Jetzt braucht es Alternativen. Wir Landwirte waren und sind Partner auf dem Weg zum Zeitalter der erneuerbaren Energien. Die Zeit drängt. Mit Wind-, Solar- und Bioenergie tragen wir schon heute zur Sicherung der Versorgung bei. Jetzt ist die Politik gefordert, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass wir diesen Pfad ausbauen können. Vorschläge, wie beispielsweise der Gesetzentwurf zur Erlösabschöpfung, konterkarieren diesen Weg. Gemeinsam ist es uns gelungen, Veränderungen herbeizuführen und Biogas sowie Biokraftstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen zukunftsfähig zu halten. Ohne unseren Verband und weitere Mitstreiter hätte diese Branche keine Zukunft gehabt.

Kooperativer Naturschutz statt pauschale Reduktionsziele und Verbote
Wenn wir über Versorgungssicherheit sprechen, dann müssen wir auch die politischen Vorhaben, die dieser entgegenstehen, in den Blick nehmen. Die EU-Kommission hat im Sommer 2022 ihre Pläne zur Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes und zur Naturwiederherstellung vorgestellt. Das Ziel, den Pflanzenschutzmitteleinsatz weiter zu reduzieren, ist richtig. Auch wir Landwirte streben dies an. Der Weg, den die Kommission gehen will, ist jedoch der gänzlich falsche. Würden diese Vorschläge so umgesetzt, wären nicht nur zahlreiche Betriebe in ihrer Existenz gefährdet, auch wäre die Ernährungssicherheit in Europa nicht mehr gewährleistet. Das ist vollkommen inakzeptabel! Pauschale Reduktionsziele, Flächenstilllegungen und Verbote haben noch nie zum Ziel geführt. Unsere im globalen Vergleich bereits äußerst nachhaltig wirtschaftende Landwirtschaft lässt sich nur über den kooperativen Weg und mit produktionsintegrierten Konzepten erhalten. Niedersachsen und Baden-Württemberg haben gezeigt, wie es gehen kann. Und wenn die Politik es mit Klima- und Artenschutz wirklich ernst meinen würde, dann würde sie zuvorderst alles dafür tun, den immensen Flächenverbrauch zu reduzieren.

Mehr Tierwohl braucht politisches und gesellschaftliches Engagement
Für die Tierhaltung war das Jahr 2022 herausfordernd. Für die Schweinehalter war es ein weiteres katastrophales Jahr. Nach etwas über einem Jahr Ampel-Regierung hat sich im Bereich des Umbaus der Tierhaltung zwar einiges bewegt, die Vorhaben sind jedoch mehr als unzulänglich. Hier werden Landwirtinnen und Landwirte bei der Weiterentwicklung ihrer Ställe hin zu noch mehr Tierwohl ausgebremst. Das betrifft die missglückte Haltungskennzeichnung und auch die geplanten gesetzlichen Änderungen beim Tierwohl-Stallbau. Nicht wirklich erkennbar ist, dass die Bundesregierung die Tierhaltung voranbringen und zukunftsfest machen will. Es braucht nicht nur eine kluge und umfängliche Haltungsform- und Herkunftskennzeichnung sowie ein Bau- und Immissionsschutzrecht, das den Tierwohlstallumbau auch tatsächlich ermöglicht. Es braucht auch ein tragfähiges, langfristiges Finanzierungskonzept und nicht zuletzt den Willen der Gesellschaft, mehr Tierwohl auch finanziell zu honorieren.

Mit Innovationsmut und Unternehmergeist Zukunft gestalten
Auch wenn die Herausforderungen und Unsicherheiten groß sind, wollen wir als Bauernverband Lösungen für die Zukunft suchen. Gemeinsam und mit viel Innovationsmut und Unternehmergeist können wir Landwirtinnen und Landwirte unsere eigene Zukunft gestalten. Dazu müssen wir erkennen, dass in dem gesellschaftlichen Wunsch nach einer noch nachhaltigeren Landwirtschaft auch Chancen liegen. Denn wer, wenn nicht wir, könnte diese erfüllen? Diese Veränderungen müssen sich aber auch in der Wertschöpfung unserer Betriebe wiederfinden. Zum Beispiel in Form neuer Geschäftsfelder in der Energieerzeugung oder beim Artenschutz. Längst erbringen wir zahlreiche dieser gewünschten Leistungen. Hier ist es unser aller Aufgabe, dies noch besser nach außen zu kommunizieren und mit Selbstbewusstsein zu zeigen, was wir Bauernfamilien Tag für Tag leisten. Das ist nicht zuletzt auch Teil der Idee des „Zukunftsbauern“.

Zukunft schöpft man weder ab, noch legt man sie still
Von einem bin ich fest überzeugt: Landwirtschaft ist eine Zukunftsbranche. Wir wollen unsere Landwirtschaft weiterentwickeln und für die Zukunft fit machen, so dass auch die nächsten Generationen an topausgebildeten Landwirtinnen und Landwirten Freude an diesem Beruf haben. Wir Landwirtinnen und Landwirte sind dabei gerne bereit, noch mehr zu tun, um die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Aber dafür brauchen wir zwingend auch den politischen Willen, Dinge endlich umzusetzen und uns keine weiteren Hindernisse in den Weg zu legen. Denn Zukunft schöpft man weder ab, noch legt man sie still.