Autor
Kruesken_Bernhard_-_Quelle_DBV-Breloer.jpg
Bernhard Krüsken
Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes
Foto: Breloer/DBV

Daran wird man erinnert, wenn einige Umweltverbände oder auch Akteure in der Bundesregierung für nahezu jede Herausforderung dieser Zeit stets die gleiche Lösung zur Hand haben: Fleischverzicht und den Abbau der Tierbestände in Europa. Nun muss dieser Stereotyp auch noch für den Kampf gegen den russischen Aggressor herhalten – kein Fleisch mehr essen, und schon hat man einen Beitrag dazu geleistet. Geht‘s noch?

Unvollständiges Bild von Warenströmen, Kreisläufen und Wechselwirkungen

Abgesehen davon, dass manche „mit der Materie vertrauten“ Menschen bei solchen Schlagzeilen Fremdschämen entwickeln könnten, lassen diese etwas eindimensionalen Schlussfolgerungen zwei Fehleinschätzungen erkennen. Zum einen wird man damit der Tragweite des Ukraine-Krieges und seiner Folgen für Märkte und Versorgung nicht im Ansatz gerecht. Zum anderen zeigt sich darin ein unvollständiges und unterkomplexes Bild von Warenströmen, Kreisläufen und den Wechselwirkungen von Teller, Tank und Trog. Der guten Ordnung halber sei darauf hingewiesen, dass diese Bewertung auch für den Populismus in die andere Richtung gilt, der Klimawandel und Artenvielfalt komplett von der Agenda streichen und am liebsten gleich die Düngeverordnung abschaffen will.

Nachjustieren ist das Gebot der Stunde

Jedenfalls sind die kurz- und mittelfristigen Verwerfungen an den Märkten und bei den Kostenstrukturen unserer und anderer Branchen so gravierend, dass man nicht bei der öffentlichen Darstellung gesellschaftlich erwünschter Haltungen stehenbleiben kann und darf. Nachjustieren ist geboten, und zwar sowohl bei politischen Leitlinien wie dem Green Deal und der europäischen Farm-to-Fork-Strategie (womit wir beim Schwerpunktthema dieser dbk-Ausgabe wären) als auch bei den konkreten aktuellen Vorgaben für die GAP. Versorgungssicherheit muss in den Zielkatalog aufgenommen werden. Pauschale Mengenreduktionsziele für Düngung und Pflanzenschutz sind nicht nur aus fachlicher Sicht eher mittelschlau, sondern bei unsachgemäßer Anwendung nur dazu geeignet, die Abhängigkeit von globalen Lieferketten zu vergrößern. Kurzfristig muss es auch möglich sein, ökologische Vorrang- und Brachflächen stärker zu nutzen, perspektivisch muss für diese Flächen stärkeres Gewicht auf produktionsintegrierte Maßnahmen zum Arten- und Klimaschutz gelegt werden. 

Logistische und wirtschaftliche Arbeitsfähigkeit erhalten

Dass Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung systemrelevant sind, ist eine Binsenweisheit, die sich in einer Pandemie-Situation anders ausbuchstabiert als unter den aktuellen Bedingungen. Systemrelevanz erfordert, die logistische, aber auch die wirtschaftliche Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Waren es zu Corona-Zeiten Arbeitskräfte und Logistikketten, so sind es jetzt in erster Linie Treibstoffe und Düngemittel, deren Verknappung die Kette zum Stocken bringt. Im Moment rollt eine Welle massiver Kostensteigerungen durch die gesamte Produktionskette, deren Scheitelpunkt die Landwirtschaft gerade passiert. Wir können nur weiterarbeiten, wenn diese Kosten schnell bis in die Regale des LEH weitergegeben werden können. Das zu bewerkstelligen, ist für die Arbeitsfähigkeit der Landwirtschaft wesentlich wichtiger als die Frage, ob 2 oder 4 Prozent der Fläche unproduktiv bleiben sollen. Die Anpassung hat zwar schon eingesetzt, bleibt aber noch weit hinter dem Notwendigen zurück. Bisherige Diskussionen mit dem LEH zeigen einen Rückfall in bekannte Verhaltensmuster des Abwimmelns und keine Bereitschaft, das offensichtlich Notwendige anzugehen. Es bleibt abzuwarten, ob die gemeinsamen Ansätze für Mehrwertprogramme im Preiskampf Schaden nehmen. Die umfangreichen Forderungen des Handels umzusetzen, haben manche Systeme viel Zeit und Ressourcen gekostet; es wäre das Gegenteil seriöser Verhandlungsführung, wenn das Thema Umsetzung und Honorierung nun auf die lange Bank geschoben werden würde.

Keine Angst vor hohen Preisen

Über 7 Prozent Inflation in diesen Monaten versetzt Volkswirte und Verbraucher in Sorge und ist bisher hauptsächlich von den Energiepreisen getrieben. Das dürfte aber nicht das Ende der Fahnenstange sein, weil der gesamte Lebensmittelbereich noch deutlich nachziehen wird – und nachziehen muss. In dieser absehbaren Entwicklung spiegeln sich nicht nur die kurzfristigen Verwerfungen auf den Märkten, sondern auch die ersten Kosten der diversen Transformationsprozesse. Produktivitätsfortschritte in der Landwirtschaft haben in den zurückliegenden Jahrzehnten als Inflationsbremse gewirkt – davon muss man sich nun endgültig verabschieden. Das kann auch die Agrarpolitik nicht kaschieren, sondern es gilt die gemeinsame Ansage in Richtung Handel und Verbraucher: keine Angst vor hohen Preisen.

Fehler der Vorgängerregierung nicht wiederholen

Bei einem anderen Teilstück des Transformationsprozesses geht es jetzt an erste Details. Entwürfe zur Haltungsformkennzeichnung sind für die nächsten Tage angekündigt. Es ist ein Flaggschiffprojekt der Ampelkoalition und folgt den Empfehlungen der Borchert-Kommission. Jetzt gilt es, den Start nicht durch die Wiederholung schon von der Vorgängerregierung gemachter Fehler schiefgehen zu lassen: Bitte an der etablierten und vom Verbraucher gelernten Haltungsformkennzeichnung und nicht an der Eierkennzeichnung orientieren, glaubwürdig bleiben und nicht von vornherein auf Schweinemast und Frischfleisch beschränken, einen verbindlichen Zeitplan für Verarbeitungsware gleich mit vorsehen. Vor allem aber dürfen die Kriterien für die einzelnen Stufen nicht so gesetzt sein, dass sich nur das Premium-Segment in Sachen Tierwohl differenzieren kann. Wer Stallhaltung mit höheren oder hohen Standards mit europäischen Minimalanforderungen in die gleiche Kategorie einordnet, betreibt auch Verbrauchertäuschung. Ein solches Vorgehen hätte darüber hinaus noch einen weiteren gravierenden Kollateralschaden. Die Initiative Tierwohl und andere vergleichbare Label würden im Grundsatz in Frage gestellt. Zurzeit wird über die ITW Schwein und Geflügel eine jährliche Größenordnung von knapp 200 Mio. Euro an zusätzlichen Entgelten für höhere Tierwohlstandards an die Tierhalter gegeben. Wird die gesetzliche Haltungskennzeichnung schlecht umgesetzt und werden die handwerklichen Fehler des Tierwohlkennzeichens wiederholt, fehlt dieses Geld für Umbau und Weiterentwicklung der Tierhaltung – das wäre dann fast schon ein Fehlstart.