Wir erleben aktuell eine Zeitenwende. Der Krieg in der Ukraine muss so schnell wie möglich beendet werden, das steht über allem. Dabei stehen wir solidarisch an der Seite der Menschen in der Ukraine und insbesondere unserer ukrainischen Berufskolleginnen und Berufskollegen. Der Krieg hat uns auch auf dramatische Art und Weise gezeigt, dass Versorgungssicherheit nicht selbstverständlich ist – weder für Lebensmittel noch für Rohstoffe und Energie. Versorgungssicherheit zu gewährleisten, ist jetzt nicht nur die strategische und politische Aufgabe für Deutschland und Europa, sondern steht auch für uns Landwirte konkret im Mittelpunkt. Ohne Landwirtschaft kann die mit dem Ukraine-Krieg einhergegangene Versorgungskrise nicht gelöst werden.
Lebensmittelversorgung sichern – über unsere Grenzen hinaus
Die Landwirtschaft und die gesamte Lebensmittelkette sind in Folge des Krieges mit massiven Kostensteigerungen für Energie, Kraftstoffe und Düngemittel konfrontiert. Hinzu kommen Lieferketten- und Logistikprobleme aufgrund der von Russland blockierten Schwarzmeerhäfen. Aber auch die noch immer anhaltenden coronabedingten Lieferengpässe haben weitreichende Auswirkungen auf die gesamte Agrar- und Lebensmittelkette. In Deutschland ist die Lebensmittelversorgung zwar vorerst gesichert – unter der Annahme, dass weiterhin Betriebsmittel zur Verfügung stehen. Die Welternährungslage spitzt sich dagegen immer mehr zu und in ersten Regionen sehen wir bereits Versorgungsengpässe. Die EU hat als großer Getreideerzeuger eine Verantwortung, die Ernährung Europas zu sichern, aber auch eine Mitverantwortung, globale Hungerkrisen abzuwenden. Bereits vor dem Krieg in der Ukraine war Hunger in vielen Teilen der Welt noch immer viel zu gegenwärtig. Wir deutschen Bauern bieten an, unseren Teil zur Lösung dieser Versorgungskrise beizutragen. Dafür muss die Politik die Rahmenbedingungen nachjustieren und flexibel gestalten.
Politische Rahmenbedingungen an Versorgungskrise anpassen
Neben einer starken EU-Landwirtschaft ist es jetzt elementar, die Handelswege offen zu halten und Exportbeschränkungen eine Absage zu erteilen. Aber es bedarf auch weitergehender kurz- und langfristiger Maßnahmen, um die Lebensmittelerzeugung zu stabilisieren. Der Deutsche Bauernverband hat bereits praktikable Vorschläge gemacht – jetzt ist die Politik am Zug. Kurzfristig ist unter anderem angezeigt, die Gasversorgung für die Ernährungs- und Landwirtschaft als systemrelevant einzustufen. Im Gas-Notfallplan muss das berücksichtigt werden. Auch braucht es dringend eine Flexibilisierung in der GAP-Förderung ab 2023. Um zu einer Entspannung der aktuellen Energiekrise beizutragen, können unsere Landwirte mit Biogasanlagen mehr Strom erzeugen – Voraussetzung ist aber, dass Begrenzungen im EEG und im Genehmigungsrecht temporär aufgehoben werden. Auch langfristig muss sich die EU darauf einstellen, dass bei einer fortherrschenden Bedrohung durch Russland weitergehende Maßnahmen erforderlich werden. Unter anderem muss der Aufbau einer Düngemittelreserve in der EU nach dem Vorbild der Ölreserve diskutiert werden.
Keine Absage an den Transformationsprozess
Eine Zeitenwende erleben wir aber nicht nur in der Außen- und Sicherheitspolitik. Auch aufgrund der zahlreichen weiteren Herausforderungen – ob Pandemie, Klimawandel, Biodiversität oder Tierwohl – stehen wir an einem entscheidenden und richtungsweisenden Punkt. Die Bewältigung dieser Herausforderungen werden wir nicht aus den Augen verlieren – ganz im Gegenteil. Unsere Landwirte werden den gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozess hin zu mehr Nachhaltigkeit weitergehen und nicht nur das: Sie sind ein maßgeblicher Teil der Lösung beim Umwelt-, Klima- und Artenschutz. Die Branche selbst hat mit den Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft und des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung bereits ein solides Fundament gelegt. Darauf muss die Politik jetzt zügig aufbauen und praktikable Angebote auf den Weg bringen.
Umbau der Tierhaltung voranbringen
Beim Umbau der Tierhaltung drängt die Zeit besonders. Die Ampel-Koalition läuft aktuell Gefahr, die Fehler der Vorgängerregierung zu wiederholen. Wer hier nicht handelt, gefährdet nicht nur die von Bauern getragene Tierhaltung in Deutschland, sondern auch das gewünschte hohe Tierwohl. Entscheidend bei dieser Mammutaufgabe ist vor allem eines: Die Landwirte können diese tiefgreifende Transformation mit Kosten von jährlich rund vier Milliarden Euro nicht allein stemmen – es handelt sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb brauchen wir in erster Linie ein verbindliches und tragfähiges Finanzierungskonzept! Anpassungen im Bau- und Immissionsschutzrecht, damit Tierwohlställe überhaupt gebaut werden können, stehen ebenfalls nach wie vor aus. Zudem bedarf es einer Herkunfts- und Haltungsformkennzeichnung, damit die Verbraucher Transparenz beim Einkauf haben – dass es hier Bewegung gibt, ist ein positives Signal. Ganz grundsätzlich ist aber entscheidend, dass wir endlich Wege finden, wie der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Wunsch nach mehr Tierwohl und der fehlenden Bereitschaft, diese Leistungen auch entsprechend zu honorieren, aufgelöst werden kann.
Politische Strategien mit der Realität in Einklang bringen
Neben dem Dreh- und Angelpunkt der wirtschaftlichen Perspektiven, ohne die unsere heimische Landwirtschaft nicht bestehen kann, braucht es weitere Nachjustierungen der diversen Nachhaltigkeitsstrategien des Green Deals. Unabhängig vom Krieg in der Ukraine müssen die Farm-to-Fork- und die Biodiversitätsstrategie mit der Realität in Einklang gebracht werden. Zu den wichtigen und richtigen Zielen des Green Deals stehen wir. Entscheidend ist nicht das „Ob“, sondern das „Wie“. Die EU-Kommission hat die Farm-to-Fork-Strategie ohne Folgenabschätzung und ohne Beachtung vorhandener Zielkonflikte formuliert. Studien kommen aber zu dem Ergebnis, dass sie nicht nur zu Einkommensverlusten für uns Landwirte führen würden, sondern auch zu einem zusätzlichen Bedarf an Agrarimporten – ohne die Klimabilanz zu verbessern. Pauschale Verbots- und Reduktionsstrategien sind also nicht zielführend. Hier brauchen wir intelligentere Lösungen.
Jünger …
Letztendlich müssen sich aber nicht nur die politischen Rahmenbedingungen ändern, auch der Verband selbst wird sich wandeln. Denn wenn wir über Zukunftsperspektiven für die Landwirtschaft sprechen, darf eines nicht fehlen: junge Menschen. Wir brauchen dringend mehr junge Unternehmerinnen und Unternehmer aus der Landwirtschaft in unserer Verbandsfamilie. Ich bin davon überzeugt, dass die Sichtweise junger Menschen unsere Arbeit bereichert und in jede unserer Positionen und Entscheidungen einfließen muss. Deshalb arbeiten wir zunehmend daran, unsere Verbandsarbeit – die oft mit einem langen Atem verbunden ist – interessanter und partizipativer für die junge Generation zu gestalten. Ich möchte alle jungen Landwirtinnen und Landwirte ermutigen, sich im Verband zu engagieren und so ihre Zukunft in der Landwirtschaft aktiv mitzugestalten.
… und weiblicher
Im Bauernverband brauchen wir auch mehr Frauen, die sich agrarpolitisch einbringen. Die Expertise und der Blickwinkel von Landwirtinnen sind nicht nur auf den Betrieben essenziell, sondern auch in unserem Verband. Deshalb haben wir Anfang Dezember 2021 eine wichtige Strukturveränderung im DBV auf den Weg gebracht. Mit der Etablierung eines Fachausschusses für Unternehmerinnen im DBV wurde der erste Schritt gemacht. Daran anschließen soll sich eine Berufung einer Unternehmerin als Vizepräsidentin in den Vorstand des DBV. Dazu bedarf es einer Satzungsänderung, über die auf dem diesjährigen Deutschen Bauerntag abgestimmt werden wird. Aber auch darüber hinaus hoffe ich, dass wir zunehmend Frauen für die Verbandsarbeit gewinnen können. Der Bauernverband braucht das.
Unternehmer, Gestalter, Lösungsanbieter: #Zukunftsbauern
Landwirtschaft ist eine Zukunftsbranche, davon bin ich fest überzeugt. Deshalb werden wir eine weitere richtungsweisende Diskussion auf dem Deutschen Bauerntag in Lübeck führen. Unter dem Motto #Zukunftsbauern wollen wir Position beziehen, Lösungen diskutieren und ein Zukunftsbild der deutschen Landwirtschaft entwerfen. Kurzum: Um Landwirtschaft und Gesellschaft wieder näher zusammen zu bringen, müssen wir den Taktstock selbst in die Hand nehmen. Wir müssen die Herausforderungen unserer Zeit angehen und Teil der Lösung sein. Wir müssen Unternehmer, Gestalter sowie Klima- und Naturschutzdienstleiter sein. Mit diesem Rollen- und Selbstverständnis können wir eine neue wertschätzende Verbindung zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft schaffen und die Landwirtschaft wieder „in die Mitte der Gesellschaft“ rücken.