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Udo Hemmerling
Stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes
Foto: Breloer/DBV

Die europäische Politik hat ihre Schwierigkeiten, die richtigen Schlussfolgerungen aus dem wirklichen Leben zu ziehen. Im Mai 2020 legte die EU-Kommission ihr Programm für eine Farm-to-Fork-Strategie im Rahmen des Green Deals vor. In diesem Standpunkt wollen wir ein Zwischenfazit ziehen. Drei Jahre und auch einige Krisen später sind die Mängel und Konstruktionsfehler der „F2F-Strategie“ deutlicher denn je. Aus politischer Sicht handelt es sich um einen zentralistischen und auflagenorientierten Ansatz, der wirtschaftliche Fragen wie die Wettbewerbsfähigkeit der Agrarbranche weitgehend außer Acht lässt. Aus agrarpolitischer Sicht ist die F2F-Strategie ein Ansatz ohne die Landwirte. Offensichtlich geht die EU-Kommission davon aus, dass es immer genügend Landwirte geben wird, die weiterarbeiten. Doch das ist angesichts der demografischen Situation nicht mehr der Fall.

In zugespitzter Form lassen sich die Schwächen und Risiken der Farm-to-Fork-Strategie in folgenden Thesen zusammenfassen:

Die Farm-to-Fork-Strategie ….

  • … ist nicht krisenfest und geht zu Lasten der Ernährungssicherheit der EU.
    Einschlägige Studien bestätigen, dass die EU-Agrarproduktion um etwa 10 bis 15% zurückgehen würde. Das zeigen etwa die Analysen der Universität Wageningen oder der Universität Kiel (Grain-Club-Studie). Die Covid-Pandemie und auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine machen deutlich, dass die EU neue Abhängigkeiten von anderen Mächten bei der Lebensmittelversorgung unbedingt vermeiden sollte.
  • … bringt nichts für den Klimaschutz.
    Durch die teilweise Verlagerung der landwirtschaftlichen Erzeugung nach außerhalb der EU wird die Klimabilanz sogar verschlechtert, weil zum Teil zusätzliche Emissionen durch Landnutzungsänderungen ausgelöst werden. Zur Vermeidung möglicher Produktionsverlagerung in Drittländer wegen erhöhter Klimaschutzkosten müsste ein CO2-Grenzausgleichmechanismus nicht nur für Industriegüter, sondern auch für Agrarprodukte eingeführt werden.
  • … kollidiert mit der Handelspolitik der EU.
    Handel ist grundsätzlich wichtig und richtig. Gleichzeitig will die EU mit dem „Green Deal“ und der F2F-Strategie Vorreiter beim Klima- und Umweltschutz sein - mit  immer höheren Standards und damit auch höheren Produktionskosten innerhalb der EU. Dieser Nachteil im Wettbewerb macht nur Sinn, wenn es einen wirksamen Außenschutz bei den EU-Standards gibt. Sonst drohen Verlagerung und Verdrängung der Erzeugung durch Agrarimporte zu Dumping-Standards. Eklatantes Beispiel für die Widersprüchlichkeit der EU-Politik ist das 2019 ausgehandelte Mercosur-Abkommen. Dies berücksichtigt die F2F-Strategie überhaupt nicht.
  • … demotiviert die Landwirte, in die Zukunft zu investieren.
    Die vorgelegten Vorschläge zur Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes, der Naturwiederherstellung und des Immissionsschutzes von Tierställen atmen den Geist bürokratischer Auflagen, die zentral von Brüssel auf die Mitgliedstaaten und auf die Landwirte einwirken sollen. Diese Verbots- und Auflagenpolitik hält Landwirte aber davon ab, in nachhaltigere Bewirtschaftungsmethoden zu investieren. Statt die Kosten gesellschaftlicher Anforderungen auf die Landwirte abzuwälzen, muss ein Ausgleich bzw. Einkommen für zusätzliche Leistungen im Ressourcenschutz und für mehr Tierwohl geschaffen werden.
  • übersieht die Chancen einer besseren Kennzeichnung von Lebensmitteln.
    Das hohe Standard-Niveau europäischer Agrarprodukte muss für die Verbraucher besser sichtbar werden, gerade auch bei Importen. Deshalb benötigt die EU einen zeitgemäßen Rahmen für Vermarktungsstandards in Verbindung mit einer verpflichtenden Herkunfts- und Haltungsformkennzeichnung bei tierischen Produkten. Doch passiert ist in den vergangenen drei Jahren praktisch nichts: Vorschläge der EU-Kommission zur Kennzeichnung sind frühestens für Herbst 2023 angekündigt.
  •  … schürt mit einer „Bad Governance“ die Europa-Skepsis unter den Landwirten.
    Der Politikansatz der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen und Frans Timmermans bestätigt im Grunde die Erfahrungen eines zentralistischen Politikansatzes „von oben herab“. Zusätzlich wurde innerhalb der EU-Kommission die wichtige Generaldirektion Landwirtschaft unter Kommissar Janusz Wojciechowski von der Erarbeitung der F2F-Strategie weitgehend ausgeschlossen. Damit wurde die vorhandene Fachexpertise zur Landwirtschaft in der EU-Kommission quasi kaltgestellt. Die Vorschläge zur Reduktion des Pflanzenschutzes, zur Naturwiederherstellung und zur Tierhaltung wurden ohne ausreichende Analyse und Folgenabschätzung für die Landwirtschaft vorgelegt.

Dringender Handlungsbedarf

Insgesamt muss die F2F-Strategie dringend an die wirtschaftliche und politische Realität angepasst und korrigiert werden. Hierzu scheint die derzeitige EU-Kommission aber nicht den Mut zu haben. Ein dringend notwendiger „Neustart“ der Agrar- und Lebensmittelpolitik, der einen wirtschaftlich sinnvollen Weg zu mehr Nachhaltigkeit geht, ist damit wohl erst unter der nächsten EU-Kommission zu erwarten. Damit werden die Wahlen zum Europäischen Parlament im Frühjahr 2024 wegweisend für die künftige Agrarpolitik sein.