Die ländlichen Räume oder besser das Landleben: für die einen ist es Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsraum, für die anderen ist es Sehnsuchtsort, Projektionsfläche für Befindlichkeiten und Adressat von Forderungen, die man selbst nicht einzulösen vermag. Dieser Gegensatz treibt unter anderem das weltanschauliche Spannungsfeld zwischen Stadt und Land maßgeblich an, auch die Lager in der sogenannten „gesellschaftlichen Debatte“ über Landwirtschaft und Ernährung finden sich in dieser Einordnung wieder.
Von Zielkonflikten und Zwischentönen
Einige Herausforderungen lassen sich aber nur zum Teil über das klassische agrar- und förderpolitische Instrumentarium lösen, sondern liegen buchstäblich „in den Köpfen“. Das Landleben und seine Betrachtung sind seit einigen Jahren eine feste Größe im Feuilleton, in Bestseller-Bücherlisten und in allen möglichen Medienformaten. Öffentlich-rechtliche Fernsehkanäle sind hier mitunter auf nur noch zwei Darstellungsweisen reduziert: entweder landlustige, herbstlich dekorierte Landfrauenküche mit Vintage-Picknick auf der Streuobstwiese oder pseudo-investigative Skandalberichterstattung aus der sogenannten Massentierhaltung – dazwischen gibt es kaum etwas. Beiden Varianten liegen zwei Dinge zugrunde: Erstens eine sehr tiefsitzende, durchaus emotionale und romantische Erwartung, wie das Landleben denn bitteschön auszusehen habe. Zweitens der Unwille, sich auf Zwischentöne oder Zielkonflikte einzulassen. Immerhin zeigt das Ganze Interesse und Aufmerksamkeit, die anderen Wirtschafts- und Lebensbereichen nicht zuteil wird.
Urbane Wünsche und Projektionen auf Kollisionskurs mit der Realität auf dem Land
Die Realität ist natürlich eine andere. Der ländliche Raum ist längst zum Maschinenraum der urbanen Gesellschaft geworden: Infrastruktur, wohin man sieht, Straßen, Autobahnen, Stromtrassen, Logistikzentren, Gewerbegebiete, noch mehr Gewerbegebiete, Energieanlagen, Schlafdörfer und zwischendrin noch etwas Landwirtschaft mit Lebensmittelerzeugung. Eine postindustrielle Gesellschaft, die jeden Tag mehr als 50 Hektar Fläche verkonsumiert und versiegelt, verlangt der Landwirtschaft – also dem Bereich, der eine guten Teil der Lebensgrundlagen ebendieser Gesellschaft bereitstellt – zusätzlich ab, für die Auswirkungen dieses immensen Ressourcenverbrauchs auf Artenvielfalt und den Verlust von Naturräumen geradezustehen. Diese Gleichung kann nicht aufgehen. Es gibt viele weitere Beispiele, wo urbane Wünsche und Projektionen mit der Realität auf dem Land kollidieren.
Gezielte Wolfsansiedlung ist Spitze des Eisbergs
Der Umgang mit Mobilität, Individualverkehr und Dieselmotoren ist eines, Wölfe in der Kulturlandschaft ein weiteres. Der Umgang mit dem Wolf und seine gezielte Wiederansiedlung ist übrigens eine besondere Mischung aus kalkulierter Ignoranz, rituellem Wegsehen und Verharmlosen, nur damit die naive Wolfsromantik nicht gestört wird – ein klassischer gedanklicher Abschottungsmechanismus. Auch der häufig anzutreffende Wunsch nach einer möglichst kleinteiligen Agrarstruktur gerät zur angeordneten Armut, wenn die wirtschaftliche Dimension ausgeblendet wird.
Bevormundung und fehlende Augenhöhe
Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, wenn nicht nur Landwirte, sondern viele Menschen im ländlichen Raum solche Projektionen oder darauf gegründete pauschale Kritik an Landwirtschaft und Landnutzung als ignorante Bevormundung und als unzulässigen Eingriff in ihre Lebens- und Arbeitsverhältnisse empfinden. Vor allem der Eindruck, dass die andere Seite ihre Ansprüche an das Gegenüber und an das eigene Handeln mit zweierlei Maß misst, treibt die Kontroverse besonders an. Lässt man diesen Konflikt eskalieren, beispielsweise durch überzogene und weltfremde Verbote und Regelungen, gedeihen Politikverdrossenheit und extreme Positionen. So weit darf es nicht kommen.
Der Zukunftsbauer: Brücken zur Gesellschaft bauen
Wo ist nun die Lösung? Wie man Zielkonflikte inhaltlicher Art auflöst, hat die Zukunftskommission Landwirtschaft vorexerziert; beim Umgang mit Befindlichkeiten und den beschriebenen Erwartungen ist das nicht unmöglich, aber wesentlich schwieriger. Wirksam, aber aufwendig zu organisieren ist der persönliche Einblick und Realitätskontakt: Hofbesuche, Kurzpraktika wie Landwirt für einen Tag und direkte persönliche Ansprache sind die Mittel der Wahl. Die Fähigkeit, solche Gräben überwinden zu können, ohne eigene Positionen aufzugeben, gehört übrigens zum Konzept des Zukunftsbauern, der sich als Brückenbauer zu anderen Teilen der Gesellschaft versteht.
Korrektur bei der Strompreisabschöpfung dringend erforderlich
Die Energiewende und der Ausbau der erneuerbaren Energien gehören zu den wenigen Bereichen, in denen der ländliche Raum in den zurückliegenden Jahren punkten konnte. Obwohl die aktuelle Situation nun wirklich keine andere Schlussfolgerung zulässt als Vorfahrt und Förderung für gerade diese Energiequellen, gehen EU-Kommission und Bundesregierung mit der geplanten Gestaltung der Strompreisabschöpfung den entgegengesetzten Weg. Rückwirkendes Inkasso dürfte verfassungsrechtlich zumindest problematisch sein. Für die Biogasanlagen als einzige grundlastfähige erneuerbare Energie bedeuten diese Pläne gesetzlich angeordnete Verluste. Diesem fiskalischen Übergriff kann man sich als Anlagenbetreiber nur entziehen, indem man seine Anlagen abschaltet und so Verlustminimierung betreibt. Zu diesem Ergebnis darf man den Initiatoren dieser Idee herzlich gratulieren. Ordnungspolitisch ist das Ganze mehr als kritisch; man fragt sich, ob diese politische Preisdeckelei mit allen ihren negativen Konsequenzen irgendwann auch auf andere Sektoren übergreift, bei denen die Realität der Märkte politisch und emotional „nicht passt“. Die Zeitenwende hat der Bundesregierung einen heftigen Aufprall in der Wirklichkeit beschert, auf den in vielen Bereichen die Realpolitik gefolgt ist. Mit der Strompreisabschöpfung ist die Gegenbewegung wieder in Gang und der Kopf wieder im sprichwörtlichen Sand. Noch ist es nicht zu spät, Bundestag und Bundesrat können und müssen korrigieren.