Autor
Bernhard Krüsken und Roger Fechler
Bernhard Krüsken ist der Generalsekretär des DBV, Roger Fechler ist der Leiter des Referates Vieh und Fleisch

Die Nutztierhaltung in Deutschland: wirtschaftliches Rückgrat der Agrarwirtschaft, wichtiger Bestandteil von Landnutzungssystemen und landwirtschaftlichen Stoffströmen, nachhaltiger Nutzungspfad für absolute Futtermittel, ein Sektor mit messbarer kontinuierlicher Weiterentwicklung in Sachen Ressourceneffizienz, Tiergesundheit und Tierwohl sowie einer im internationalen Vergleich eher geringen relativen Emission von CO2-Äquivalenten – und trotzdem immer im Brennpunkt einer aufgeheizten medialen und agrarpolitischen Diskussion. Es sind keine neuen Erkenntnisse, dass sich die so genannten gesellschaftlichen Anforderungen grundsätzlich neu sortiert haben, dass Nachfrage und Markt im europäischen Kontext so sind wie sie sind, nämlich wettbewerbsgetrieben, dass Landwirte diesen Spagat aufgebürdet bekommen und dass Politik und Gesetzgebung bisher kein überzeugendes Rezept gegen den Export der Erzeugung im Wege des Ordnungsrechts gefunden haben.

Borchert-Konzept mit Zukunftsmodell

Vor einem Jahr (!) sah es dann doch so aus, als gäbe es einen Weg (übrigens nachzulesen in der dbk vom März 2020): Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung hatte unter Leitung von Bundesminister a.D. Jochen Borchert ein Konzept entwickelt und vorgestellt, um die Nutztierhaltung in Deutschland auf höhere Tierwohlstandards umzustellen und gleichzeitig den Tierhaltern eine auch wirtschaftlich tragfähige Entwicklungsperspektive zu bieten. Aus dem anfangs diskutierten dirigistischen Modell „Staat kauft Tierwohl“ hat das Kompetenznetzwerk ein mehrstufiges Konzept aus einer differenzierten Tierwohlprämie, einem Finanzierungsmodell, mehreren Ansätzen zur Berücksichtigung von Markt und Nachfrageseite, darunter eine Herkunfts- und Haltungsformkennzeichnung entwickelt. Ebenfalls dazu gehört eine (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht im Detail festgelegte) Kriteriensystematik, mit der eine langfristige Förderfähigkeit der verschiedenen Tierwohlstufen gesichert wird und last but not least die klare Forderung, dass ohne Tierwohlvorrang im Bau- und Genehmigungsrecht generell nichts geht.

Breite Zustimmung - und dann...?

Seitdem gab es aus allen politischen Lagern breite Zustimmung. Auch aus Sicht der Landwirtschaft kann aus dem Vorschlag der Borchert-Kommission der sprichwörtliche Befreiungsschlag werden, mit dem viele Grundsatzdiskussionen und Herausforderungen gelöst werden können. Der Deutsche Bundestag hat im Juli 2020 einen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD angenommen. Darin wird die Bundesregierung u.a. aufgefordert, „die Empfehlungen des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung in Konsequenz und in Gänze aufzugreifen“, „die für eine Umsetzung notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen anzupassen“ und „innerhalb dieser Legislaturperiode eine kurz-, mittel- und langfristige Umsetzungsstrategie zur Transformation der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung, die konkrete Empfehlungen für Neubauten und Entwicklungsperspektiven für bestehende Tierhaltungen aus Sicht des Tierwohls, des Umweltschutzes, des Klimaschutzes und der ökonomischen Betriebsführung“ enthält, vorzulegen.

...folgt Ernüchterung

Mehr als ein halbes Jahr nach diesem Bundestagsbeschluss und kurz vor Ende der laufenden Legislaturperiode muss man heute ernüchtert feststellen, dass sich hinsichtlich der Umsetzung dieses Beschlusses große Defizite abzeichnen. Die angestrebte Umsetzung zentraler Bestandteile in dieser Legislaturperiode bekommt immer mehr Fragezeichen. Dieser Rückstand stellt auch das Konzept des Kompetenznetzwerks im Grundsatz in Frage, weil dessen Erfolgsgeheimnis darin besteht, sämtliche Komponenten und eben nicht nur einzelne Elemente umzusetzen.

Baurecht verhindert Weiterentwicklung der Tierhaltung

Das Scheitern droht schon beim ersten Schritt. Die Weiterentwicklung im Bau- und Emissionsschutzrecht steckt im Gesetzgebungsverfahren fest. Die vorliegenden politischen Formelkompromisse zum Baurecht sind gänzlich ungeeignet, eine Weiterentwicklung im Sinne des Kompetenznetzwerks möglich zu machen. Hier kommt man nicht umhin, den für diesen Stillstand verantwortlichen politischen Akteuren den Vorwurf der Scheinheiligkeit zu machen. Es geht nicht nur um das Baurecht, sondern auch um immissionsschutzrechtliche Vorschriften. Während z.B. im vorliegenden Entwurf der TA Luft für große und mittlere Anlagen bis spätestens 2029 eine Abluftreinigung nachgerüstet werden soll, wird im Kompetenznetzwerk bis 2040 derzeit eine Überführung aller Ställe zum Außenklima angestrebt. Das passt erkennbar nicht zusammen.

Nicht ohne Finanzierung!

Zur Finanzierung des Transformationsprozesses zeigt sich ebenfalls ein unklares Bild. Sicherlich sind hier die Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Machbarkeitsstudie nicht unwichtig. Diese wird leider erst nach Redaktionsschluss veröffentlicht, aber wie man so hört, hat die Studie kein geeignetes Instrument gefunden, um die geforderte Langfristigkeit von Tierwohlprämien bzw. deren Förderzusagen an die Landwirte abzusichern – wenn das zutrifft, wäre es ein Problem.

Wesentliche und wie gesagt erfolgskritische Elemente des Konzeptes sind die Finanzierung und der Abbau von Hindernissen im Bau- und Genehmigungsrecht. Während es hier nicht oder nur wenig vorangeht, zeigt man bei der Entwicklung von Kriterien einen starken Detaillierungsdrang und ein großes Engagement, die Kriterien der einzelnen Stufen möglichst weit weg von der derzeitigen landwirtschaftlichen Praxis zu definieren – wohlgemerkt, ohne eine Perspektive für Finanzierung und Realisierbarkeit zu haben. So geht es in den Arbeitsgruppen der Borchert-Kommission derzeit verstärkt darum, die Kriterien des Entwurfs der Tierwohlkennzeichen-Verordnung 1:1 umzusetzen. Der Leser erinnert sich: das sind die Kriterien, die das BMEL seinerzeit mit Blick auf sein freiwilliges Tierwohl-Label, also mit ganz anderer Zielrichtung entwickelt hat. Das ursprüngliche Ziel bestand dahin, ein möglichst abgesetztes Premium-Programm zu etablieren. Konsequenterweise konnten sich alle relevanten Akteure in der Kette nicht damit anfreunden. Das Vorhaben war bereits im Abseits gelandet und soll nun offenbar wieder reanimiert werden. Im Rahmen des Borchert-Plans sollen aber alle Betriebe bis 2030 in Stufe 1 und bis 2040 mindestens in Stufe 2 überführt werden. Insofern bedarf es hier einer generellen Überprüfung der Kriterien im Hinblick auf die Zielsetzung einer Machbarkeit für möglichst viele Betriebe. Vor allem bei dem Kriterium Außenklima für alle Betriebe besteht erheblicher Diskussionsbedarf. Besonders deutlich wird die Untauglichkeit dieses Ansatzes in der Sauenhaltung, wo die Kriterien sogar noch erweitert werden sollen und damit die mit der jüngsten Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung politisch versprochene Planbarkeit und Verlässlichkeit wieder einmal über Bord geworfen werden. Wie in einer schlecht geschriebenen Komödie stellt sich dann auch noch heraus, dass das Bundesministerium für Umwelt offenbar parallel ein eigenes Kriterienset für Tierwohl entwickelt hat, ach ja, für „Erleichterungen bei der Baugenehmigung“. Kriterien für höhere Tierwohlstandards dürfen und müssen zwar ambitioniert sein, aber machen nur Sinn, wenn der Weg dorthin für eine möglichst große Zahl von Betrieben gangbar ist. Unabhängig davon sind das frühere Konzept des freiwilligen Tierwohllabels und dessen nur geringfügig veränderten Nachfolgelösungen weder ein sinnvoller Ersatz für eine durchgängige Kennzeichnung von Haltungsformen oder Tierwohlstandards noch ein geeignetes Vehikel für Ordnungsrecht durch die Hintertür. Immerhin bewegen sich die Dinge auf europäischer Ebene, dank des Einsatzes der deutschen Präsidentschaft im zurückliegenden Jahr.

Nutztierhaltung in Deutschland steht auf dem Spiel

Wie auch immer: Die ganze Angelegenheit wird im Moment vom falschen Ende her aufgezogen. Wenn man das Konzept des Kompetenznetzwerkes auf eine Kriteriendiskussion oder auf eine Umsetzung eines freiwilligen Labels reduziert, wird es nicht nur scheitern, sondern auch dazu führen, dass der Nutztierhaltung in Deutschland eine Zukunftsperspektive genommen wird. Wenn nur die wenig brauchbaren Kriterien bleiben und die eigentlich drängenderen Punkte in dieser Legislatur nicht zum Ergebnis gebracht werden, geht der Schuss nach hinten los.

DBV steht zum Borchert-Plan

Insgesamt muss man nach „einem Jahr Borchert-Plan“ feststellen, dass angesichts dieser problematischen Entwicklungen dringender Handlungs- bzw. Korrekturbedarf bei der Umsetzung besteht. Zyniker werden jetzt sagen, dass die große Zahl an wohlfeilen Unterstützungsbekundungen von vielen Seiten hätte misstrauisch machen müssen. Rührei mit Speck ist ein Beispiel für ein joint venture von Huhn und Schwein, das nicht für beide Seiten gut ausgeht. Leider läuft die Nutztierhaltung selbst im Moment mangels einer guten Gesamtstrategie zur Umsetzung dieses gemeinsam erarbeiteten Konzeptes eher Gefahr, auf die Speckseite zu geraten. Aber wir wollen nicht unken; der Deutsche Bauernverband steht nach wie vor zum Plan des Kompetenznetzwerks, weil dieser einen guten Weg für eine langfristige Weiterentwicklung der Tierhaltung mit breiter gesellschaftlicher Akzeptanz eröffnet. Noch können wir die Dinge zusammenhalten, wenn die Politik mitzieht und die eigenen Ankündigungen umsetzt.