Seit Dezember 2024 ist der 42-jährige Luxemburger Christophe Hansen EU-Kommissar für Landwirtschaft und Ernährung. Im dbk-Interview spricht er über seine Vision für die zukünftige Landwirtschaft in der EU, über Bürokratieabbau, Wettbewerbsfähigkeit und den Generationswechsel.

Sie sind inzwischen seit einigen Monaten im Amt. Was hat Sie in diesen ersten Monaten am meisten beschäftigt?

Agrarkommissar Christophe Hansen: Ich wusste schon seit Beginn meines Amts, dass ich ein Kommissar mit robusten Gesprächen auf den Höfen mit den Landwirten sein wollte. Das hat mich bis jetzt am meisten beschäftigt. Im Februar habe ich sogar einen Familienbetrieb in Ahaus, Nordrhein-Westfalen, besucht und ich bleibe fest davon überzeugt, dass ich als Kommissar jede Chance nutzen sollte, um unseren Bäuerinnen und Bauern direkt zu begegnen. Gespräche wie diese liefern wertvolle Einblicke, die zur Gestaltung unserer politischen Maßnahmen, zur Stärkung der ländlichen Wirtschaft und zur Förderung einer hochwertigen Lebensmittelproduktion beitragen. Indem wir denjenigen zuhören, die in ländlichen Gebieten leben und arbeiten, können wir ihnen eine starke und resiliente Zukunft sichern. Neben diesem Austausch habe ich auch die „Vision für Landwirtschaft und Ernährung“ vorgestellt, in der wir unsere Ziele und künftigen Initiativen präsentieren, um den Lebensmittel- und Landwirtschaftssektor der EU attraktiver, wettbewerbsfähiger und widerstandsfähiger zu machen. Dies wird den Rahmen für meine Arbeit während meiner Amtszeit bilden. Ich habe bereits Vorschläge zur Unterstützung des Weinsektors vorgelegt und werde im Mai Vorschläge zur Vereinfachung der Gemeinsamen Agrarpolitik unterbreiten. Vereinfachung ist eine meiner Prioritäten. 

Was sind aus Ihrer Sicht aktuell die größten Herausforderungen für Landwirtinnen und Landwirte? 

Hansen: Was die Landwirte heute brauchen, sind Planungssicherheit, faire Einkommen, Vereinfachung und eine stärkere Position in den Wertschöpfungsketten. Zum Beispiel, wenn es um Vereinfachung geht, wissen wir, dass die meisten Landwirte Unternehmer sind und natürlich auch Papierkram erledigen müssen. Aber wir müssen verhindern, dass viel Zeit unproduktiv verloren geht. Deshalb haben wir uns seit Beginn meiner Amtszeit auf die Vereinfachung konzentriert. Ich werde im Mai Vorschläge zur Vereinfachung der Gemeinsamen Agrarpolitik vorlegen. Ein weiteres Problem ist der Generationswechsel. Wir müssen die Landwirtschaft für jüngere Generationen attraktiv machen und den Landwirten die Möglichkeit geben, sich zu gegebener Zeit zur Ruhe zu setzen. Deshalb müssen wir auch sicherstellen, dass die Landwirtschaft einen fairen Lebensstandard bieten kann. Das ist auch der Grund, warum ich zu Beginn meines Mandats im Dezember Maßnahmen vorgeschlagen habe, um die Position der Landwirte in der Lieferkette zu stärken und unseren Kampf gegen unfaire Handelspraktiken zu intensivieren. Junge Menschen für die Landwirtschaft zu gewinnen, erfordert auch Maßnahmen auf nationaler Ebene. Ich betone immer wieder, wie wichtig die Zusammenarbeit auf allen Ebenen und der Dialog sind. Abschließend würde ich sagen, dass eine unserer größten Herausforderungen darin besteht, die landwirtschaftliche Produktion mit dem Schutz natürlicher Ressourcen zu verbinden. Die Landwirte sind die ersten, die von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind, aber sie sind auch Teil der Lösung. Geben wir ihnen die Instrumente und die richtige Unterstützung, damit sie Boden, Wasser und biologische Vielfalt schützen können.

Was wollen Sie ändern, damit der Generationswechsel gelingen kann? 

Hansen: Wir müssen die Landwirtschaft für junge Leute wieder attraktiv machen. Aktuell sind weniger als 12 % der Landwirtinnen und Landwirte unter 40 Jahre, was viel zu wenig ist. Ich möchte die Einkommensstützung noch gezielter auf Junglandwirte ausrichten. Sie müssen Innovationen umsetzen können und ich denke spezifisch an die Erzeugung erneuerbarer Energien und die Bioökonomie. Ich möchte klarstellen, dass die Kommission dieses Ziel nicht allein erreichen kann. Die Mitgliedstaaten haben Zuständigkeiten in Bezug auf den Zugang zu Grund und Boden und zum Beispiel das Erbrecht, die einen großen Einfluss auf die Entscheidung zur Übernahme eines landwirt- schaftlichen Betriebs haben können. Deshalb müssen wir zusammenarbeiten. Der Zugang zu Finanzmitteln ist ebenfalls ein großes Problem, wenn man in die Landwirt- schaft einsteigt. Ich arbeite mit der Europäischen Investitionsbank zusammen, die im Dezember ein Kreditpaket in Höhe von 3 Milliarden Euro angekündigt hat, das sich vor allem an Junglandwirte richtet. Dies ist ein erster Schritt. Wenn wir weiter flächendeckend produzieren möchten, müssen wir den Generationswechsel schaffen. 

Schon seit geraumer Zeit wird den Landwirtinnen und Landwirten auch ein Bürokratieabbau versprochen – nicht zuletzt auch in Ihrer Vision für die Landwirtschaft. Wie soll dieser konkret aussehen? 

Hansen: Die EU sollte die Unternehmen unterstützen und sie nicht behindern. Ich werde im Mai ein Paket zur Vereinfachung des derzeitigen Rechtsrahmens für die Landwirtschaft vorlegen, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der Straffung der Unterstützung für kleine und mittlere landwirtschaftliche Betriebe liegt. Gleichzeitig werden wir die Anforderungen an die landwirtschaftlichen Betriebe vereinfachen und straffen, um unterschiedlichen Situationen und landwirtschaftlichen Praktiken, wie zum Beispiel dem ökologischen Landbau, besser Rechnung zu tragen. Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit durch eine verbesserte und vereinfachte Planung und den Zugang zu Finanzinstrumenten, die im Rahmen des derzeitigen MFR zur Verfügung stehen, erhöhen und den Mitgliedstaaten mehr Flexibilität bei der Verwaltung der GAP-Strategiepläne einräumen. Später in diesem Jahr werden wir auch ein ressortübergreifendes Vereinfachungspaket vorlegen, das andere Politikbereiche wie die Umwelt- und Gesundheitspolitik abdeckt. Ich arbeite eng mit meinen Kollegen in der Kommission zusammen. 

Auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft soll gestärkt werden. Was planen Sie? 

Hansen: Es ist wichtig, die Position der Landwirte in der Lebensmittelkette zu stärken und dafür zu sorgen, dass sie einen fairen Preis für ihre Arbeit erhalten. Im Dezember gab es schon unseren Vorschlag für die Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken und zur Stärkung der Erzeugerorganisationen. Wir haben unsere Ernährungssicherheit zu lange als selbstverständlich angesehen. Der Agrar- und Ernährungssektor ist von strategischer Bedeutung für unsere Sicherheit. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, unsere Abhängigkeiten, die Schwachstellen darstellen, zu verringern. Wir werden an einer Eiweißstrategie arbeiten, um unsere Proteinproduktion in der EU zu steigern und unsere Lieferanten zu diversifizieren. Ich werde mich auch für mehr Gegenseitigkeit in den Handelsbeziehungen und eine stärkere Angleichung der Produktionsstandards einsetzen. Ein gefährliches Pestizid, das in der EU verboten ist, sollte in importierten Produkten nicht zugelassen werden. Wir werden eine Analyse in die Wege leiten und unsere Landwirte dabei unterstützen, auf internationaler Ebene gleiche Wettbewerbsbedingungen zu erhalten. 

Welche Forderungen haben Sie an den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen, um Ihre Vision für die Landwirtschaft umzusetzen? 

Hansen: Wir kennen die Herausforderungen und sie sind groß und zahlreich. Allen voran steht natürlich die Verteidigung. Zu Beginn ihrer Amtszeit hat Präsidentin von der Leyen in ihren politischen Prioritäten die Bedeutung der Direktzahlungen für Landwirte bekräftigt. Wir wissen, dass die Einkommensbeihilfen ein wichtiges Sicherheitsnetz für die Landwirte sind. Sie werden beibehalten. In welcher Höhe sie letztendlich zur Verfügung stehen werden, müssen die Staats- und Regierungschefs entscheiden. Mein Anliegen ist es, dafür zu sorgen, dass wir nicht noch mehr Landwirte und Betriebe verlieren. Unsere Mittel müssen denjenigen zugutekommen, die sie am dringendsten benötigen: Junglandwirten, Familienbetrieben, aber auch Landwirten, die in abgelegenen ländlichen Gebieten arbeiten. Finnland hat zum Beispiel eine 1.340 km lange gemeinsame Grenze mit Russland. Aus sicherheitspolitischer Sicht stellt die ländliche Bevölkerung eine Verteidigungslinie dar, die in dieser zunehmend gefährdeten Situation nicht unterschätzt werden sollte. 

Wann werden Sie erste Vorschläge für die GAP nach 2027 vorlegen und welchen Fokus muss die neue GAP aus Ihrer Sicht setzen? 

Hansen: Die GAP kann keine Revolution sein. Sie hat in den letzten 60 Jahren bewiesen, dass sie ihre Ziele erreicht. Meine Absicht ist, keine Radikalreform vorzuschlagen. Wir sollten nur ändern, was nicht gut funktioniert, und alles andere beibehalten. Das wäre der richtige Ansatz, auch um den Betrieben die nötige Planungssicherheit zu geben. Es geht darum, in der EU genügend Lebensmittel zu erzeugen und dass unsere Landwirte auch über ein angemessenes Einkommen verfügen. Um dies zu erreichen, brauchen wir auch einen berechenbaren Haushalt, mit dem wir für die Zukunft planen können. Das Ziel ist, die Land- und Ernährungswirtschaft nachhaltiger zu gestalten in dem Sinne, dass die Wirtschaftlichkeit der Betriebe, Umwelt- und soziale Fragen gleichgewichtig berücksichtigt werden. Landwirte müssen in ihrem Beruf wieder richtig aufblühen können. 

Inwieweit spielt ein möglicher EU-Beitritt der Ukraine bei Ihren Überlegungen eine Rolle? 

Hansen: Ich verstehe die Frustration unserer Landwirte, denn die Ukraine ist wirklich ein landwirtschaftliches Kraftzentrum. Aber es ist wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, dass der Beitrittsprozess leistungsorientiert ist. Für den Agrarsektor bedeutet dies, dass er sich unseren Produktionsstandards anpasst, zum Beispiel in Bezug auf die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln oder den Tierschutz. Ohne dies wird es nicht möglich sein. Es sollte auch über eine schrittweise Integration in den Binnenmarkt nachgedacht werden, denn allein die jährliche Agrarproduktion der Ukraine macht fast ein Drittel der europäischen Produktion aus. Wir müssen der Ukraine auch dabei helfen, ihre historischen Märkte wiederzuerlangen. Wir stehen solidarisch an der Seite der Ukraine, und sobald die Ukraine der EU beitritt, werden wir in der Lage sein, uns strategisch darüber abzustimmen, was wir im Binnenmarkt tatsächlich brauchen, wobei wir natürlich die Gegenseitigkeit der Standards sicherstellen müssen. Ich bin davon überzeugt, dass ein zukünftiger EU-Beitritt der Ukraine auch eine Chance ist für uns.

Interview: Sofie Sponbiel