Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Geschäfte der Unternehmen in Prozent, Mehrfachnennung möglich Weniger Nachfrage 60% Stornierung von Aufträgen durch Kunden 43% Kürzung der Investitionsplanungen 2020 36% Stillstand der geschäftlichen Tätigkeit 35% Ausfallende / fehlende Mitarbeiter 16% Fehlende Waren und Dienstleistungen 16% Logistische Engpässe 14% Drohende Insolvenz 13% Keine negativen Auswirkungen 7% Derzeit keine Einschätzung möglich Steigende Nachfrage nach Waren / Dienstleistungen 3% 3% Quelle: DIHK-Blitzumfrage COVID-19 Deglobalisierung? Stattdessen Vielfalt und Anpassungsfähigkeit Die Coronakrise wirkt strukturell auf die Globalisierung als Brandbeschleu- niger. Erwartbare Entwicklungen der nächsten zehn Jahre ereignen sich nun im Zeitraffer von 10 Wochen, etwa im Digitalbereich, aber auch bei globalen Protektionismustrends. Mit der Resilienz, die die deutsche Wirtschaft insgesamt hat, sowie mit ihrer Vielfalt und Anpassungs- fähigkeit wird sie diese Veränderungen bewältigen können – so wie sie das auch schon früher geleistet hat. Die internati- onale Arbeitsteilung wird fortbestehen, aber sich verändern, zum Beispiel durch stärkere Risikobewertungen oder Regio- nalisierungsprozesse. Diese Änderungen und Relokalisierungen von Lieferkettenbe- standteilen werden auch durch technolo- gische Fortschritte möglich. Sektoren wie die Nahrungsmittel- und Textilproduktion sind aufgrund von verderblichen Gütern und kürzeren Produktionszyklen beson- ders anfällig für Lieferkettenunterbre- chungen, so dass Reshoring-Diskussionen lauter werden dürften. Lokalisierung macht anfällig Änderungen von Lieferketten sind in erster Linie unternehmerische Entscheidungen. Der Staat sollte grundsätzlich auf eine Regulierung von Wertschöpfungsketten verzichten. Die Gefahr besteht allerdings, dass nach der Krise etwa viele wirtschafts- schädliche Lokalisierungspflichten für Unternehmen bestehen bleiben. Stattdes- sen sind international gleiche Wettbe- werbsbedingungen und Diversifizierung, etwa durch ausgewogene Freihandelsab- kommen umso wichtiger. Unternehmeri- sche Lieferkettenanpassungen bedeuten für Deutschland zugleich eine Chance, wenn die richtigen Anreize als Investiti- onsstandort hierzulande gesetzt werden. Generell gilt dabei, dass Unternehmen, die umfassend auf Lokalisierung setzen, auch anfälliger für externe Schocks sind, da ihre Ausweichmöglichkeiten beschränkt sind. Auch ihre Zulieferer in nicht wettbewerbsfähigen Branchen sind weniger profitabel und verlässlich. Grenzüberschreitende Arbeitsteilung ist und bleibt daher ein wichtiger Bestandteil wirtschaftlicher Resilienz. Deutsche Verantwortung - Europas Führungsrolle Aus Sicht der Wirtschaft sollte neben der Eindämmung der Pandemie nun konse- quent die Unterstützung von Wachstum und Investitionen vorangetrieben werden. Der Dreiklang für den Wirtschaftsstand- ort Deutschland müsste lauten: mehr Wettbewerbsfähigkeit, weniger Bürokratie und keine neuen Belastungen. Für die Unternehmen hierzulande ist zudem wichtig, dass Deutschland sich in Brüssel für gemeinsame Lösungen einsetzt. Denn die deutschen Unternehmen wickeln knapp 60 Prozent ihrer Warenexporte und -importe mit anderen Ländern der EU ab. Der europäische Binnenmarkt soll- te deshalb gestärkt und ausgebaut wer- den. Die seit über einem Jahrzehnt erste deutsche EU-Ratspräsidentschaft bietet eine wichtige Gelegenheit, die Rolle der EU als zukunftsgerichteter Impulsgeber Schwerpunkt 15 für die Wirtschaft in Europa und weltweit zu sichern. Hierzu sollte die EU verstärkt ihre Nachbarschaftsbeziehungen und Konnek- tivitätsagenda forcieren. Zudem ist die Stärkung des regelbasierten Welthandelssys- tems und weiterer Handelsabkommen nötig, um Handel weniger anfällig für Krisen und politische Störungen zu machen. Regelbasierter Welthandel schützt auch die EU selbst Nur mit einer EU, die entschlossen und ge- schlossen auftritt, haben unsere Unterneh- men im internationalen Wettbewerb eine hörbare Stimme. Die beste Unterstützung globaler Lieferketten liefern verlässliche Regeln und internationale Abkommen, die Märkte öffnen, offenhalten und Unterneh- men Rechtssicherheit bieten. Zwei Drittel der außereuropäischen Exporte deutscher Unternehmen beruhen schließlich einzig auf Regeln der Welthandelsorganisation, die zunehmend durch unilaterale Maßnah- men unter Druck gerät. Nötig ist daher ein ehrgeiziger EU-Impuls für die Stärkung des regelbasierten Welthandels, um die Erosion der WTO und der Welthandelsregeln zu stoppen. Um auch trotz WTO-Blockaden voranschreiten zu können, sollten auch die Verhandlungen und die Umsetzung bilateraler Freihandelsabkommen vorange- trieben werden. Indem Europa sich für den regelbasierten Welthandel einsetzt, schützt es am Ende auch sich selbst. y r r e P n a d A i l u a P / K H D I : o t o F Gastautor Dr. Volker Treier ist Außenwirtschaftschef und Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Deutschen Industrie- und Handels- kammertages (DIHK). Dort zeichnet er verantwortlich für die außenwirtschaft- liche und europapolitische Vertretung des DIHK. Das Studium der Volks- wirtschaftslehre absolvierte Treier, der aus Baden-Württemberg stammt, in Bamberg und Budapest, seine Promoti- on wiederum in Bamberg.